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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 15
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Schütz-Wolff, Johanna: Die Widdersphinxe von Karnak
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0465

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Karnak Widdersphinx

DIE WIDDERSPHINXE VON KARNAK
Vorbemerkung des Herausgebers. Die Verfasserin der nachfolgenden Anmerkung, die ihren
Sinn durch die beigegebenen hervorragenden Abbildungen erhärtet, ist als Malerin und besonders
durch ihre Teppiche innerhalb der modernen deutschen Kunst nicht mehr unbekannt. Sie war
Schülerin des verstorbenen Paul Thiersch und von Ehmke und richtete I p 20 an der Halleschen
Kunstgewerbeschule die Werkstätte für Handweberei ein, der sie fünf Jahre Vorstand. Aus-
stellungen ihrer Bddteppiche veranstalteten das Lübecker Museum und der Verein für junge
Kunst in Oldenburg.
Ich hatte sie bisher nur in ganz kleinen Abbildungen gesehen, immer nur die ganze
Reihe dieser zerbröckelten Tierleiber und davor den Grundriß eines Tempels. Als ich
dann aber davor stand, wurden sie mir zum starken Erlebnis. Ich lief die ganze Reihe
hinunter und fand wirklich ein, zwei, drei, vier fast erhaltene Köpfe. Ich spürte es
unter dem Stein zucken, es waren wirkliche Tiere. Ob sie schliefen? Sie sahen mich,
sie schwiegen, sie waren tief versunken. Aber sie waren mir gut und hatten die Ge-
sichter von edlen Menschen. Ich spürte, daß sie sehr weise waren, und das sie mir
etwas zu sagen hätten. Ich tastete das Gesicht ab. Man konnte etwas spüren in den
Fingerspitzen. Wie sollte ich es benennen? Ich fragte, was macht es, daß das Tier
lebt und Auge und Mund sind doch nur wie mit einem Messer hineingeschnitten. Er
mußte etwas gewußt haben über das Tier, er, der es hier vollendet hatte. Etwas über
die Seele des Tieres, die zwischen der Form liegt, über der Form. Ich dachte an
Franz Marc. Er wußte etwas von dieser Seele, die wir vergaßen. Und ich sah sich
eine Brücke breiten von jenen verfallenen Jahrhunderten zu unserer Arbeit.
JOHANNA SCHÜTZ-WOLFF
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