Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
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Heft 15
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Emanuel de Witte Kircheninneres
Ausstellung alter Kunst im Amsterdamer Rijksmuseum / Bes.: D. A. Hoogendijk & Go., Amsterdam
Gewandes der Gegenseite haltend, Hände und Zweig
von feingliedrigen, herbem Stilcharakter, ferner
ein köstliches, niederdeutsches, rhythmisiertes Blatt
aus dem Ende des 14-Jahrhunderts. Verschiedene
Zeichnungen von Dürer, vor allem der »Heilige Se-
bastian« in schwellend renaissancehafter Körper-
lichkeit ä la Pollaiulo mit langem, selten abge-
setztem Strich die ganzen Figuren Umrissen, dann
das Porträt des Stifters Landauer vom Allerheili-
genaltar in Wien mit sanften, welligen Linien-
zügen von unendlich inbrünstiger Ausdruckskraft
und »Gethsemane« voll tiefer Innerlichkeit in den
Physiognomien der Jünger und heftiger Extase in
der Gestalt Christi bis in die Falten seines Gewan-
des. Ein emphatisches Blatt von Johann von Aa-
chen mit großzügig hingetuschten braunen, grauen
und weißen Tönen.
Der deutsche Barock ist durch eine Rötelzeichnung
von Putten des Bildhauers Johann Peter Melchior
vertreten, von dem sehr wenige Zeichnungen auf
uns gekommen sind und durch eine kurvenreiche,
breit pathetische von Antonius Kern. Elsheimers
Zeichnungen wirken viel intuitiver als seine Ge-
mälde: diese aus warmen Dunkelheiten aufstei-
genden runden Körper, aus braunen Nebeln zau-
berhaft emportauchenden Landschaften.
Als besondere Seltenheiten sind unter den frühen
Niederländern zu nennen: Zwei Silberstiftzeich-
nungen »Mann mit Falken« des Jan van Eyck voll
innigen Naivität und ein Blatt aus dem Skizzen-
buch des Gerard David mit geheimnisvollem
Schmelz der Züge. Hervorzuheben sind außerdem
von Rubens eine Frauengestalt aus dem »Liebes-
garten« in Madrid von pompösem Rausch der For-
men, eine Halbfigur von Pieter Breughel von in-
tensivster Körperlichkeit und eine Hafenansicht von
Jan Breughel, deren feinempfundene Architek-
tur, Sachlichkeit und Genre, durch Delfter Blau
verklärt sind. Und schließlich ist Rembrandt durch
sieben ganz sichere Blätter repräsentiert. Ein »alter
Mann« von eminenter, psychologischer Gestaltungs-
kraft. Durch lässige Entspannung aller Glieder:
tiefste Resignation. Ebenso aufschlußreich »Sit-
zende Frau«, in dem Gesichtsausdruck an die Frau
des Potiphar in dem Bild des Kaiser-Friedrich-Mu-
seums erinnernd. Den Höhepunkt der Ausstellung
bildet eine der Landschaften, bei der jede Form
einfach und zugleich melodiös im Bildganzen steht,
jeder kleinste Teil einen unendlichen Reichtum an
Valeurs offenbart.
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