Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
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Heft 18
DOI Artikel:Biermann, Georg: Alte italienische Möbel: Ausstellung bei Herrmann Gerson
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Kredenz-Tisch Oberitalienisch, 16. Jahrh.
ALTE ITALIENISCHE MÖBEL
AUSSTELLUNG BEI HERRMANN GERSON
VON GEORG BIERMANN
Frida Schottmüller, die das sehr lesenswerte Vorwort zu dem schönen reich bebilderten
Katalog dieser Ausstellung schrieb, mit der die neue Saison in Berlin vielverheißend
beginnt, spricht angesichts dieser Sammlung altitalienischer Möbel, die ausnahmslos
aus ein und demselben toskanischen Palaste stammen, einmal von der Sachlichkeit der
Kunstformen und dann an anderer Stelle von der »neuen Sachlichkeit«, die auch die
Bewertung alter Kunst beeinflußt habe. Wenn sie die Erstere zugleich als Wahrhaftig-
keit deutete, wird man ihr ohne weiteres zustimmen, ob uns dagegen ausgerechnet die
»neue Sachlichkeit« den Geist dieser frühen italienischen Hausmöbel näher gebracht hat,
möchte man dagegen bezweifeln, obwohl es theoretisch denkbar wäre. (Nur darf man
dann die »neue Sachlichkeit« nicht mit den Eisenmöbeln des Bauhauses identifizieren.)
Gefühlsmäßig bewegt sich dagegen die Freude gerade an dieser Art von Möbelkunst
auf einer anderen Basis, und die bezeichnet unsere wieder erwachte Freude an der Welt
des »Primitiven« schlechthin. Wir lieben heute wieder mehr den Aufstieg einer
Epoche als ihre Vollendung, empfinden selbst als Sprößlinge einer Zeit, die auf den
Trümmern eines ungeheueren Zusammenbruchs die schmale Phalanx ihrer schöpfe-
rischen Kräfte sammeln mußte, immanente Beziehungen zwischen der Einfachheit und
Geschlossenheit jenes fast noch mittelalterlichen Stils und der Formenwelt unseres vor-
wiegend technisch orientierten Zeitalters, und man könnte in diesem Sinne, ein wenig
kühn verdeutlichend, sogar den Vergleich wagen, daß der Zimmermann des Quattro-
cento der Ingenieur des 20. Jahrhunderts geworden ist. Der Einwand, daß diese Tischler
von damals ihrerseits Künstler gewesen seien, verfängt in solchem Zusammenhang
nicht, weil es zwischen Handwerk und Kunst damals eine Grenze überhaupt nicht gab;
das heißt, gesellschaf tlich und soziologisch gehörte auch der beste Künstler seiner hand-
werklichen Zunft an und es wäre gewiß nicht schwer zu beweisen, daß der vornehmste
Künstler zugleich auch der beste Handwerker auf seinem Gebiet gewesen ist. Erst der
mit der Hochrenaissance aufkommende Kult der Persönlichkeit verwischt mit der Ent-
geistigung der Weit im allgemeinen, der Verweltlichung der Kirche im besonderen,
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