Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0552
DOI Heft:
Heft 18
DOI Artikel:Biermann, Georg: Alte italienische Möbel: Ausstellung bei Herrmann Gerson
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0552
Sgabelloni Florenz, um 1520
mit dem langsamen Sterben des großen anonymen Kunstschaffens auch die gesellschaft-
lich-soziale Position des um sein Werk bemühten Künstlers oder »Kunsthandwerkers«,
wenn uns diese scheußliche Worterfindung des 19. Jahrhunderts an dieser Stelle eine
Brücke zum Verständnis bauen darf.
Dies vorausgeschickt, wird man also die Liebe zu diesen Möbeln, deren unvergäng-
licher künstlerischer Wert die Einfachheit ihrer Form, die Selbstverständlichkeit ihrer
Statik und die kraftvolle Echtheit des Materials ist, durchaus als Zeichen des modernen
Menschen werten, der fern von der Geschlossenheit mittelalterlicher Kultur, dennoch
die gleiche Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit in Geist und Materie in sich fühlt und
immer wieder schmerzvoll bedauert, daß die Fähigkeit der Hände von damals, die
nichts Automatisches kannten, nun auf die Maschine übergegangen ist, deren Be-
stimmung und Sinn die automatische Funktion ist. Hier klafft der Abgrund zwischen
den Epochen auf, über den es als Brücke des Gefühls nur die Liebe zu solchen Dingen
gibt, wie man sie liier im Bilde sieht. Überflüssig fast, in Parenthese zu bemerken,
wie lebendig in dem Tischler von damals, über das nur statisch formale Bewußtsein
hinaus, das sich oft mit einem überraschenden Reichtum der Erfindung an jedem ein-
zelnen Kunstmöbel offenbart, auch das Gefühl für das Ambiente, für den Gesamtaspekt
gewesen ist. Denn diese Möbel waren Teile eines Ganzen, standen als Glieder im Raum,
waren durch Bestimmung und Position gebunden. Ihre Zweckform entspricht den
architektonischen Verhältnissen des Raums, und der Raum selbst, in dem solche Möbel
standen, hatte die Funktion, Truhen, Tische, Schränke, Kandelaber und Kredenzen, das
heißt, die an sich toten Dinge künstlerisch zu verlebendigen. Wir kennen die Wirkung
dieser Gegenstände im Raum nicht nur aus den Gemälden des Quattrocento, auf denen
ihre Funktion oft dieselbe ist, sondern auch aus den originalen Denkmälern der Epoche,
unter denen als eines der schönsten beispielsweise der jetzt in seiner ursprünglichen
Form wiederhergestellte Scaligeri-Palast an der Etsch in Verona genannt sei. In diesen
Räumen des 14. und 15. Jahrhunderts gab es keinerlei Prunk und Überladenheit. Wenige
Möbelstücke standen im Raum, in sinnentsprechender Form und Gruppierung, aber
jedes dieser Möbel war ein Dokument bester Handwerkskunst. Seltsam endlich noch
zu beobachten, wie konservativ im Grunde die Formensprache dieser Stücke gewresen
ist. Noch um das Jahr 1600 kehren die gleichen Kasten- und Sitzmöbel wieder, die
uns zuerst aus dem Zeitalter Dantes überliefert sind und daß auch diese bereits einer
520