Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0582
DOI Heft:
Heft 19
DOI Artikel:Riesebieter, O.; Rudolph, M.: Die Erfurter Jahrtausend-Ausstellung
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0582
Altardecke
brachte, daß liier Jahre lang ein Maler wie Josef
Philipp Dannhofer —- vorher in \\ ien und Bay-
reuth — tätig sein konnte. Aber auch der Schrank
mit den durchweg gelb bemalten Stücken hebt
sich stark hervor.
Daß auch an kleineren Fabriken wie Gera, Saal-
feld, Coburg und Rudolstadt sich Künstler von
Rang zeitweise aufhielten, zeigt ebenfalls die für
jedermann außerordentlich interessante Ausstel-
lung. 0. Riesebieter.
★
ERFURTER MITTELALTERLICHE TEXTILIEN
In einer bemerkenswerten Ausstellung, die alle
Räume des Erfurter Museums und den Kunstver-
ein umfaßt, verbindet Dr. Kunze Erfurter Mu-
seumsbesitz mit Leihgaben aus Kirchen, Klöstern,
Privatsammlungen und auswärtigen Museen zu
dem Bilde »eines Jahrtausends Erfurter Kultur«;
strengste Geschlossenheit ist durch die sichere Aus*
wähl des Wertvollsten und Prägnantesten erreicht.
Die wenigen (sonst nicht zugänglichen) mittel-
alterlichen Textilarbeiten, die innerhalb der Aus-
stellung einen verhältnismäßig kleinen Raum ein-
nehmen, sind um so beachtenswerter, weil sie als
gestickte Bilder, als Vertreter fehlender wirkli-
cher Gemälde, Lücken in der Geschichte der Erfur-
ter Malerei ausfüllen. Die Herkunft der Sticke-
reien aus Erfurter Nonnen-Klöstern, gelegentlich
Erste Hälfte des 14. Jahrhunderts
auch der Zusammenhang mit der heimischen Pla-
stik machen die gemeinsame Erfurter Provenienz
wahrscheinlich.
Eine Leinenstickerei (mit Leinengarn auf Wolle)
•—■ gekrönte Frauen und Falknerpaare zwischen
Rankenwerk — die aus dem Ende des 10. Jahrhun-
derts stammt, hat in ihrer gleichmäßigen, fort-
laufenden Flächenüberspinnung noch Verwandt-
schaft mit der Tendenz zur kontinuierlichen Koor-
dination, in dem hohen Bedeutungswert des Or-
namentes noch etwas von der Gleichordnung von
Figur und Ornament im gleichmäßig bewegten
Fries der romanischen Zeil. Die vollgestickte Figur
wirkt als Körperhaftes, dessen Profil als Körper-
grenze innerhalb der in Wahrheit »textilen« Or-
namentik entscheidend ist.
Eine prachtvolle (an einigen Stellen nachträglich
überarbeite») Kasel dürfte, obgleich ihr ältere Vor-
bilder zugrunde liegen, nicht vor dem Anfang des
11\. Jahrhunderts entstanden sein. In Arkaden sind
disputierende Heilige und Szenen aus dem Leben
Christi und Mariae dargestellt. An die Stelle der
diffus und gleichmäßig über die Fläche verteilten
Bildelemente sind in sich geschlossene und um-
rahmte Bildfelder als ruhende und auf sich sam-
melnde Zentren getreten, Bilder, deren strenge
Tektonik der Tektonik entspricht, mit der jedes
Feld sinnvoll in den Bau der ganzen Kasel einge-
fügt ist. Die Farben, die einen außerordentlich
548