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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 20
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Friedländer, Max J.: Meister Quentins Persönlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0611

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begrüßt wird der Meister, der mit überlegenem Können aus der Gemeinschaft namen-
loser Handwerker heraustritt. Beifall und Auszeichnung wirken zurück auf die Pro-
duktion des Gefeierten. Er wird sich seiner Außerordentlichkeit bewußt und steigert
ehrgeizig und ruhmsüchtig die Fähigkeiten, die ihm Anerkennung verschafft haben.
Der Begriff Virtuose bekam im Bedeutungswandel einen herabsetzenden Beiklang. In
neuerer Zeit wird er vorzugsweise verwendet, um den ausführenden, sich produzieren-
den Interpreten zu rühmen. Schließlich trat der Begriff Virtuose antithetisch dem
Begriff Künstler gegenüber, da ein tieferes Eindringen in das Wesen der schöpferischen
Gestaltung die entscheidende Macht spontanen, instinktiven, unbewußten Tuns erkannte.
Der Virtuose überglänzt mit sensationellen Mitteln die schlichte, unscheinbare Schöp-
fung des Künstlers. Nicht in der letzten Phase des Bedeutungswandels, wohl aber in
einem Ubergangsstadium paßt der Begriff Virtuose auf den gesellschaftlich und seelisch
strebenden, im hellsten Lichte sein erstaunliches Können ausstellenden, wohlweislich
die Wirkungen vorbereitenden Meister. Der neue seelische Gehalt, der den alten Leib
erneuert, stammt eher aus den Nerven als aus dem Herzen. Objektiv betrachtet, ist
Kunst überall von der Natur verschieden, Quentins Kunst aber wird willentlich als
etwas von der Natur Verschiedenes hervorgebracht, als eine gezüchtete, verfeinerte
Blüte, die einen berauschenden Duft ausströmt.
Als man den »Künstler« feierte im Gegensatz zu dem Handwerker, wurde Massys ge-
krönt, als man den »Künstler« erkannte im Gegensätze zu dem Virtuosen, wurde
Quentins Ruhm vermindert und eingeschränkt.
Aus dem in diesen Tagen bei Paul Cassirer, Berlin erscheinenden VII. Band der Altnieder-
ländischen Malerei, der ausschließlich Quentin Massys und dem engeren Kreis seiner Schüler
gewidmet ist. Man vergleiche hierzu die Besprechung des vorhergehenden Bandes, die der Heraus-
geber des Cicerone kürzlich im dritten Sonderheft »Kunstliteratur« veröffentlicht hat.


Monogrammist HWG Die Landschaft mit dem hl. Hieronymus vor der Grotte
Aus der Versteigerung 162 vom 5. — 7. November 1929 bei G. G. Boerner in Leipzig

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