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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 22
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Rosenberg-Gutmann, Anny; Chardin, Jean Baptiste Siméon [Gefeierte Pers.]: J.B.S. Chardin (1699-1779)
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0676

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Auch die Frauen malt er in ihrer Wirklichkeitsnahe;, in ihrer täglichen Arbeit. Nichts
ist hier von der dekadenten Schwermut, nichts von der ausgelassenen Fröhlichkeit des
Dixhuitieme. Die »Pourvoyeuse«, die Frau, die vom Markte heimkehrt,—■ der Typus
der Frau, der er in seinem Quartier wohl täglich begegnen mußte,—- die »Menagere«,
das Antlitz von der weißen Hausfrauenhaube umrahmt, im Ausdruck eine Mischung
von behaglicher Sicherheit und Schüchternheit.
Selten sind figurale Darstellungen in seinem Oeuvre: Frauen im Haushalt, Kinder,
Bilder seiner Frau, seine Selbstporträts.
Das hier ausgestellte bekannte Selbstporträt, im Alter von ungefähr 70 Jahren gemalt,
hat die ganze Geradheit und Anständigkeit des Blickes, der nichts von einem scharf-
sinnigen Psychologen, nichts von einem raffinierten Kunstkenner hat. In fast zarten
Tönen ist es gemalt, die Verwitterung der Haut von Pastelltechnik überhaucht.
Auch eine Reihe von Stichen ist ausgestellt, -— von Künstlern seiner Zeit, vor allem von
Lepicie, nach seinen Bildern gestochen. Er selbst hat nie einen Stich verfertigt.
Zeit seines Lebens war Cbardin weder überschwänglich gelobt noch abfällig beurteilt
worden. Manche hatten ihm Monotonie und zu oftmalige Wiederholung der Sujets
vorgeworfen. Diderot, der vielleicht als Erster durch seine Kunstkritik eine engere
Verbindung zwischen Publikum und Künstler geschaffen hatte, nannte ihn einen großen
Koloristen, weil er die Töne der Natur selbst entnommen hatte, eine Auffassung, in
der schon Rousseaus Ideen und die neue geistige Einstellung fühlbar werden.
Erst im 19. Jahrhundert entsteht ein neues Interesse für Chardin, ja, in der Zeit des
erstarkenden Bürgertums sogar Begeisterung. Und daß heute eine größere Ausstellung
seiner Werke veranstaltet wird, ist wold nicht nur dem Zufall seines fünfzigjährigen
Todestages zuzuschreiben. Der Geschmack an klar umgrenzter Gegenständlichkeit, an
konstruktiver Wiedergabe tatsächlicher Objekte ist im Wachsen begriffen, damit auch
Verständnis für gleichartige Bestrebungen in vergangenen Zeiten.


.). B. S. Chardin Ein junger Zeichenschüler

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