Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
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Heft 23
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P. A. Seehaus Der Leuchtturm. 1913
Aus der Ausstellung der Galerie Flechtheim, Düsseldorf
RUNDSCHAU
BERLINER AL SSTELLUNGEN
Recken dorfhaus / Verein Berliner Künstler /
»Die Frau von heute« / Pressezeichner /
Tischler / Niemeyer / Nadel / Thorak / »Die
schöne Tasse«
Man scheint entschlossen, der allzu geringen An-
teilnahme am zeitgenössischen Bildschaffen durch
Massenhafligkeit der Darbietungen aufzuhelfen.
Die Häufung insbesondere von Vereinsausstellun-
gen fordert zeitweise dazu heraus, dem Kunstbe-
trieb eine Diätkur anzuempfeitlen. Wenn Paul
W e s t h e i m im Hause des Reckendorf-Ver-
lages fünfzig höchst sorgsam ausgewählte Werke
zwischen Corinth und Max Ernst so vorführt, daß
jedes einzelne zwingend zur Geltung gelangt und
gültig seinen Schöpfer bezeugt, alle zusammen
aber von Utrillo bis zu Vivin und von Ideckel bis
zu Ringelnatz einen vielfachen und klaren Begriff
vom Rang der Gegenwartsleistung vermitteln, —
so wird es zur Demonstration gegen die üblichen
Bildzusammenrottungen, deren Regisseur kein an-
derer ist als die Paketfahrt-Gesellschaft. (In die-
sem nicht einfach aus Prominenzen gebildeten,
aber besonders gesiebten Kreise kann Evamarie
Schlenzig mit etlichen Aquarellen von spiritueller,
phantastisch schillernder Grazie sehr beachtlich de-
bütieren.) Wie rasch hat sich doch die Anwand-
lung von Ehrgeiz verflüchtigt, die der Verein
B e r 1 i n e r Künstler unlängst an den Tag legte.
Man ist dort wieder brav und dumpf unter sich.
Ein halbes Dutzend dem Mitgliederbestände ein-
verleibter jüngerer Gesichter versackt ziemlich in
der Atmosphäre der Tüchtigkeit und Verschollen-
heit, deren Auslüftung offenbar noch nicht ge-
lungen ist. Die befangenen und sachten Gebilde
Joachim Ivarsehs werden sich hier einigermaßen
fremd Vorkommen. Es sei eingeräumt, daß ältere
Maler wie Dettmann, Plontke, Eichhorst recht An-
sehnliches beitragen konnten, daß Künstler wie
Er win Frey tag oder Reinhold Dieffenbacher auf-
merken lassen. Am Gesamteindruck des Unbelangs
ändert es nichts.
Im Vere in der Künstlerinnen hat man sich
zweifellos Mühe gegeben. Das Thema »Die F rau
von he u t e« hat unverkennbar anregend gewirkt,
cs verbürgt zugleich ein regeres Publikumsinter-
esse. Leider sind viel zu viel Porträts eingeliefert
worden und nur recht wenig Darstellungen, die
den Lebenstag der modernen Frau veranschauli-
chen. Ob nun das eine Bildnis Stadtschulärztin
heißt und das andere Privatsekretärin, das kommt
dem soziologischen Ausdruck des Ganzen kaum zu-
gute. Dabei herrscht das Bestreben, die ernstliche
Berufstätigkeit der Frau zu würdigen, bis zur Ver-
drängung derjenigen Werte vor, die den oft ge-
rühmten Zauber des weiblichen Geschlechts aus-
machen. Auffällig, wie wenig Eleganz, Anmut
und holde Gefährlichkeit, wie viel rüstiges Wesen
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