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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 23
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0719

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Frans Masereel Hafenkneipe
Aus der Ausstellung in der Städtischen Kunsthalle, Mannheim

terarbeiten können. Manche Lücke im Gewebe der
letzten Jahrzehnte würde sich schließen. Von den
Gemälden ist vieles bekannt, von den sehr persön-
lichen Handzeichnungen und Aquarellen das meiste
nicht. Vielleicht finden diese den Weg in eine
breitere Öffentlichkeit, zusammen mit den Skiz-
zenbüchern, die wirklich einer Wiedergabe wert
wären.
Die Plastiken von Gerhard Mareks (Halle) bei
»Kühl« sind aus den letzten drei Jahren, in denen
Mareks den Weg von der harmonisierenden Klein-
form zur charakterologisch differenzierenden
Großform gegangen ist. Seine neuen Arbeiten
haben alle das Aufgerissene des von innen Gestal-
teten und die Asymmetrie des dynamisch erregten
Bildwerks. Er ist in jedem Material ein großer
Könner und bleibt doch zum Glück mit einigen
nur angedeuteten Chancen in der Reserve. Er ver-
ausgabt sich nie und erweckt stets neue Erwartun-
gen. Die Gemälde von Cb. Crodel daneben wir-
ken wie die Arbeiten eines geistesverwandten
Freundes. Grohmann
MANNHEIM
Die neue Ausstellung der Kunsthalle »Frans
Masereel, Das gesammelte Werk« ist eine Lei-
stung. Ihr Eindruck auf die zur Eröffnung von
nah und fern herbeigeeilten Kunstfreunde war
schlagend, überwältigend. Die Ursache für diese
geradezu sensationelle Wirkung eines so stetigen,
Velleitäten und Absonderlichkeiten abholden
Künstlers, wie Masereel, lag nicht nur in der
Überraschung für viele, den ihnen als Graphiker

wohlvertrauten Künstler plötzlich mit einer be-
deutenden Zahl gewichtiger Gemälde dominierend
vor sich zu sehen, sie ergab sich noch mehr aus dem
jähen Bewußtwerden der zentralen Stellung Mase-
reels als Künstlerpersönlichkeit im öffentlichen
Geist unsrer Tage, die gerade in der Gesamtschau
sich kundgibt. Masereel ist Demokrat im tiefsten
Sinne, das heißt, er attackiert die breite Front des
Lebens im Typischen, Allgemeingültigen. Nie ist
ihm das Predigertum und Bekennertum des Künst-
lers nur subjektiver Schrei, ein Aufdecken per-
sönlicher innerer Nöte, nie ist ihm die Schilderung
der Dinge aber auch nur lässiges Behagen des
Nachgenießens. Er dringt in künstlerischer Ver-
antwortlichkeit kämpfend in die Außenwelt und
wird zum Volksredner seiner Überzeugung mit
dem Bewußtsein, daß seine Stellungnahme wahr,
öffentlich gültig und wichtig ist. Seit dem Kriegs-
erlebnis ist seine Kunst verflochten mit dem
Dienst an der Solidarität der Menschlichkeit. Ein
Gang durch die Ausstellung vermittelt das be-
freiende Gefühl, wie hier der Mensch als Erschei-
nung der schmerzlichen Isolierung lelztvergange-
ner Jahrzehnte entrissen ist. Masereels Anschau-
ung der Großsladt ist ein Abbild unseres gemein-
samen Schicksals. Die nüchterne Klarheit des
künstlerischen Vortrags hat die eindringliche und
verborgene Leidenschaftlichkeit des starken Men-
schen, des wunden freilich, aber des Überwinders.
Ein Einwand vielleicht die neue Thematik der mei-
sten Ölbilder: Fischerdorf und volkstümlich ro-
buste Fischergestalten. Ist das nicht Resignation,
Flucht aufs Land? Vielleicht, aber jedenfalls ohne

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