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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Sonderheft Kunstliteratur
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Römer, Erich: Aus der Ernte des Dürer-Jahres
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0764

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Aus der Ernte des Dürer-Jahres

zum Urerlebnis erscheint gradlinig, folgerichtig
und leicht kenntlich, darum auch anderen »Ken-
nern« in seiner schönen Einseitigkeit leichter er-
weislich. Bildungsstoffen näherte sich der junge
Dürer mit den komplizierten Mitteln des spätgo-
tisch »gebildeten Künstlers«. Das Erlebnis der na-
türlichen Form dagegen konnte er nicht anders ge-
stalten, als wenn er die formgestaltende Kraft in
sich selbst wie unbewußt, nach innen horchend,
walten ließ. Dürers Naturbilder sind seine natura
naturata nicht mehr als seine natura naturans.
Darum tut Stadler klug daran, seine Untersuchung
der Apokalypse mit einem Blick über die frühen
Landschaften zu beginnen. Mit dem ruhig und sub-
til auf das Formal-Künstlerische gerichteten Ur-
teil, das aus seinem Buch so angenehm auch dem
Andersgläubigen auf fällt, beginnt er die Wasser-
und Deckfarbenmalereien zeitlich zu ordnen, lei-
der noch in Unkenntnis der Bereicherungen, die
inzwischen Winklers Dürer-Studien gebracht ha-
ben. Und mit der in ihrer Seltenheit erfreulich-
sten Übereinstimmung stehen bei Stadler, Wink-
ler, Tietze die vom alles einzeln sehenden, im gan-
zen ängstlich unausgeglichenen Blätter voran:
Drahtziehmühle, Johanniskirchlein — bei Stadler
aber noch vor ihnen die federgezeichnete Fels-
Landschaft der Albertina (L. 449)- Doch kann ich
bei ihr nicht verschweigen, daß schon äußerlich der
Gegenstand für Entstehung auf der Alpenfahrt
spricht. Gesteinsart und Lage finden sich ähnlich
an dem einst viel benutzten Paß von Bayern ins
Unterinntal, dem Fernpaß mit Schloß Fernstem.
So kann Dürer sehr wohl diesen schönen Über-
gang benutzt haben, um 1494 möglichst rasch
Innsbruck zu erreichen, und auf dieser ersten Ita-
lienreise die Stelle aufgenommen haben, die ihn in
der besonderen Art des Ausschnittes noch der Nürn-
berger Überlieferung verpflichtet zeigt.
Stadlers wie jede stilkritische Chronologie fußt
auf der Voraussetzung, »daß die künstlerische Vor-
stellung sowohl als auch die Beherrschung der zu
ihrer Realisierung notwendigen Kunstmittel sich
stetig fortlaufend entwickeln. Eine Annahme, die
sich mit der Wirklichkeit wohl kaum vollständig
deckt. Kleinere Rückfälle sind immer möglich«.
Um solche Fehler in der »idealen Linie der Ent-
wicklung« zu vermeiden, trachtet Stadler die Stil-
kriterien zu häufen. Und scheint mir da doch einem
grundsätzlichen Vorbehalt Raum zu lassen: der
Ausgangspunkt, das primum movens muß fest
bestimmt sein, d. h. nicht nur stilkritisch. Es liegt
für den Gesellen Dürer, wie der Bremer Reiter-
zug von i48g (L. ioo) ausweist, in der Wolgemut-
Werkstatt. Dort gebraucht er ihre exempla in der
»begleitenden« Landschaft. Aber wir haben ja
einige erhaltene Hinweise darauf, wie sonst die
Feder in Nürnberger Schul-Werkstätten damals
»selbständige« Landschaft zeichnete. Und wir ha-
ben zumindest für Wolgemut selbst das Urteil, daß
überall dort, wo seine Altarbild-Hintergründe das

Bild eigentümlich fränkischer Landschaft öffnen,
dies ebenso ursprünglich, keineswegs nach nieder-
ländischen Vorbildern, wie mit einem Malerauge
für Stimmungswerte geschieht. Die harte Klarheit
des ersten Morgens, das trübe Versinken im spä-
ten Abend, das Wolgemut dort gemalt hat, ist, eben
weil es gemalt und nicht gezeichnet ist, nicht an-
ders entstanden zu denken als mit einem »male-
risch zusammen-sehenden« Auge. Und nun keines-
wegs wie sein Lehrmeister, sondern mit dessen Ge-
genteil soll Dürer Landschaft zu malen begon-
nen haben? Wie folgerichtig er eine räumlich und
struktiv gewiß noch unfeste, aber in ihrer maleri-
schen Einheitlichkeit verlockende Zusammenschau
durchführen konnte, zeigen doch gerade hinter der
Drahtziehmühle und dem Johanniskirchlein die
Fern sichten.
Aus der Festlegung dieses Ausgangspunktes in der
malerisch unbefangenen Heimatschilderung, wie
Wolgemuts Beispiel sie lehren konnte, ergibt sich
nun keineswegs mit zielstrebiger Sicherheit eine
eindeutige »Entwicklung« des Landschafters Dü-
rer. Wenn im Fortschreiten Stadlers und Winklers
Aufreihung dieser Blätter ebenso auseinander läuft
wie die Tietzes und Wölfflins — sollte der Grund
dafür nicht in der allzu peinlich gestellten Frage
und zuletzt in Dürer selbst liegen? Gewiß wird er
auf der Höhe der »Melancholie« das Dorf Kalch-
reuth nicht mehr so aquarellieren wie als der Zeich-
ner der Apokalypse. Aber dem Dinglichen mit al-
len Sinnen verhaftet, besaß er in sich so weite Mög-
lichkeiten darstellerischer LIingabe, daß seine all-
fällig erreichte Beherrschung der verschiedenarti-
gen Darstellungsmittel, sein Stilgefühl, sein Kunst-
wollen oder wie man den unbewußten Regulator
seiner auseinanderstrebenden Kräfte nennen mag,
durchaus nicht am selben Punkte oder nur in der-
selben Gegend ihn bewegen mochte, mit der Ver-
wirklichung seiner Vision von Landschaft inne-
zuhalten. Bedenke ich sonst kontrollierbare Schwan-
kungen, die keineswegs im »Noch nicht« oder »Hier
schon« Gekonnten, die vielmehr im Mutterboden
des empfangenden Augenblickes wurzeln, dann
werde ich ängstlich gegen die Bestimmtheit, die
alle plastisch geklärten Landschaftsbilder auf die
eine, nun die erste Italienfahrt festlegen will, so-
gar mit deutlich spürbaren Unterschieden für Hin-
und Rückreise.
III. UNBEACHTETE SCHWEIZER REISE 1519
Dürer ist gern und darum viel gereist, als echter
Sohn einer Zeit voll »heiliger und unheiliger Wan-
derlust«. Als er eben wieder aus Italien zurückge-
kehrt war, stellt ihm Lorenz Beheim ein ausführ-
liches Horoskop und schickt es im Brief an Pirck-
heimer (28. Mai 1507). Dieser »Herr Lorenz«, wie
ihn Dürer in einem venezianischen Briefe nennt,
damals schon Kanonikus in Bamberg, wo er i5i7
der Gastwirt Dürers war, als dieser dort den Bi-

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