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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Sonderheft Kunstliteratur
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Römer, Erich: Aus der Ernte des Dürer-Jahres
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0772

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Aus der Ernte des Dürer-Jahres

sehen Bildung ist, Gestalt in der Anschauung ge-
winnen zu lassen. Gesehen worden sind Dürerische
Originale 1928 von uns bis zu den Antipoden von
Millionen neuer Augen. Wir können nur hoffen,
daß in einigen von ihnen eine Vorstellung aufge-
keimt ist, mag sie Formen annehmen, welche sie
wolle: von der Gewalt des Schöpferischen in einem
großen Menschen. Diese Vorstellung zu festigen
und zu klären, ist Aufgabe der Wissenschaft, die
mehr sein will als bloßes Alexandrinertum. Ob
diese, unfähig auch nur über Formalien und Vor-
aussetzungen sich zu einigen, heute jene Aufgabe
erfüllen kann, wer von uns wollte das zu behaup-
ten sich getrauen?
Schwer gemacht hat es uns Dürer selbst. Wenn er
heute als Maler gescholten wird, so hat er wohl in
Venedig einmal sich des Hochgefühles erfreuen
dürfen, Maler unter Malern zu sein, aber zu Hause
kamen die vielen Stunden des Kleinmuts über dem
Zergrübeln, und er schalt selbst dies mühselige
Handwerk. So verstehe ich den Sinn jener Worte,
die sein und Pirckheimers Freund Thomas Vena-
torius, der gelehrte Prediger am neuen Spital, von
ihm gehört und in der Vorrede zur Pictura des
L. B. Alberti (Basel i5i4) auf gezeichnet hat: »er
habe im Vergleich zur Großartigkeit des Arche-
typus, den er im Geiste vorher konzipierte, sich
niemals ein Genüge getan.« Nicht anders sagt Dürer
es in der Bildersprache der »Melancholie«. Und
Venatorius hat den Dürer gesehen, wie er Holz-
schneidern (Venatorius sagt: sculptores, und das
kann allerlei heißen) irgendwelche Umrisse vor-
zeichnet, die er selbst, dann mit dem Pinsel unter-
stützt, schwer erreichte — an jener Großartigkeit
nämlich. Denn, so fügt Venatorius hinzu, nicht
selten sind die Dinge, die wir im Geiste konzipie-
ren, größer als daß sie eine sterbliche Hand in
menschliche Augen ausgießen kann, wie sie es wert
wären. — Dies Dokument einer Selbstkritik und

dazu einer zeitgenössischen Kritik, zumal von
einem Freunde, der um Dürers Persönlichstes, um
seine inneren Nöte und äußeren Nötigungen wußte,
wiegt wohl schwerer als unsere kritische Weis-
heit. Die mit dem Pinsel nur schwer wieder er-
reichte »magnificentia« seiner zeichnerischen Ar-
chetypen, seiner Vor- und Aufzeichnungen für
Holzschneider — sie bleibt derjenige Bestandteil
von Dürers Werk, der von den Konzeptionen sei-
nes Geistes (wie der Humanist sagt), von den Vi-
sionen seiner inneren Welt (wie wir sagen) das
Meiste, Beste, Tiefste verwahrt.
Diese Dinge hat vorauszustellen, wer heute den Dü-
rer lebendig machen oder erhalten will. So hat es
die Berliner Dürer-Ausstellung verstanden, als sie
vorweg die großen Holzschnitt-Folgen, dann in
ihre Mitte die Zeichnungen rückte, erst in deren
Anschluß die Gemälde, an diesen Kern herange-
lagert das Stichwerk. Anders in Nürnberg. Man
wollte Dürer den Maler in seine Heimat, die am
»tragischen Schicksal« gerade seines Malens mit-
schuldig geworden ist, wieder zurückführen. Aber
die Bilder, über die Friedländer in der Cicerone-
Festschrift das Urteil des Kenners fällt, kamen
nicht alle. Und man muß fragen, ob der Eindruck
tiefer und nicht bloß reicher, ja quälender gewor-
den wäre, hätte alles Dürerische Malwerk sich nun
noch einmal zusammengeschart. Drängte man sich
vor dem Rosenkranzfest, so blieb es in den Kabi-
netten der (leider in zwei Reihen gehängten) Zeich-
nungen schon leerer. Die Schaulust siegte und ist
wohl längst wieder verflogen. Das Erlebnis des sich
nie Genüge tuenden schöpferischen Willens, in den
Zeichnungen oft noch im Widerstreite mit sich
selbst, nie mit dem Pinsel erreicht, wird wohl im-
mer eine Speise nur für wenige bleiben. Ob das
so gut ist, ob und wie das zu wandeln ist, das zu
entscheiden, gehört nicht mein- vor das Forum der
Kunstgeschichte.

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