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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Sonderheft Kunstliteratur
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Die Kunst des Ostens
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0802

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Die Kunst des Ostens

0. SIReN: IIISTOIRE DES ARTS ANCIENS DE
LA CHINE. Tome I. La Periode Prehistorique.
G. van Oest, Paris—Drüssei.
Eine brauchbare Geschichte der chinesischen Kunst
— Traum einer fernen Zukunft — dürfte kaum
weniger umfangreich sein als eine Geschichte der
europäischen Kunst. Ein solches Fazit wird auf
allen Gebieten von Zeit zu Zeit gezogen werden
müssen. Für China hat man das aber noch nicht
ernstlich und in der nötigen Breite gewagt. Das
großangelegte Werk des beweglichen und mit den
Methoden europäischer Kunstforschung besser als
seine sinologischen Kollegen vertrauten Verfassers
füllt daher zweifellos eine Lücke aus. Von den ge-
planten sechs Bänden liegt der erste, die archai-
sche Epoche bis zum Ende des 3. vorchristlichen
Jahrhunderts umfassend, vor. Die zeitliche Ab-
grenzung entspricht durchaus einer stilgeschicht-
lichen. Vor einer Kritik der Einzelheiten ist ein
gewaltiges Verdienst des erschienenen Bandes her-
vorzuheben: er bringt neues Material. Der schwe-
dische Forscher klischiert nicht zum zwanzigsten-
mal bekannte Dinge, was gerade auf dem Gebiet
der ostasiatischen Kunst eine unnütze und un-
fruchtbare Einschränkung wäre. Er nutzt vielmehr
den zum Teil sogar örtlich gesicherten Bestand
aus, den Stockholm Andersson und Karlbeck ver-
dankt und den man sonst nirgends brauchbar ab-
gebildet findet.
Im Gegensatz zur Berliner China-Ausstellung, aber
durchaus im Sinne des schwedischen Sammlungs-
bestandes, werden die neolithischen Funde nicht
ausgeschlossen. Ihre Annäherung an die Donau
gruppe des Neolithikums, nicht an Susa-Anau,
trifft sicher das Richtige. Aber eine Überleitung
von der Steinzeit zur alten chinesischen Kunst fin-
det auch Siren nicht, wie er überhaupt den in der
Fachliteratur gewonnenen Ergebnissen wenig hin-
zuzufügen hat. Neu und für eine gründliche Unter-
suchung geradezu in der Luft liegend ist die auf
eine Tafel beschränkte Gegenüberstellung chine-
sischer und mittelamerikanischer Altertümer. Je-
der Versuch, chinesische Bronzen zu reihen, schei-
terte bisher an dem Fehlen von Datierungsgrund-
lagen. Es bleibt der Kunstgeschichte nichts übrig
als eine Typologie. Dabei können die für die Zeit
um 1000 v. Chr. ziemlich gesicherten Bein- und
Tonfunde nur bedingt herangezogen werden, denn
sie gehorchen anderen Materialbedingungen. Siren
versucht nun, die Gefäße nach ihrem stilistischen
Charakter zu reihen und stellt die mit fadenförmig
aufliegender Ornamentik an den Anfang. Aber be-
reits bei dem Hauptstück dieser Gattung (PI. 28)
findet sich eingetiefte Zeichnung neben der plasti-
schen Bildung, kurz, das Argument scheint mir
nicht zwingend. Ich kann daher nicht allen Datie-
rungen des Verfassers zustimmen. Der Dreifuß des
Berliner Museums (PI. 19) bat in seiner Dünnwan-
digkeit und in seiner mageren, fadenförmig auf-
liegenden Musterung zahlreiche Parallelen, die

mehr auf das Ende als auf den Anfang der Epoche
verweisen und vielleicht eine geographisch be-
stimmte Sondergruppe bilden. Ein Bronzegriff mit
Türkisen (PI. 16 b) gehört nach den glaubwürdigen
Aussagen des Importeurs L. Wannieck zu den Fun-
den aus Liyü, also statt an den Beginn des vor-
christlichen Jahrtausends ins 3. Jahrhundert. Siren
bringt zum erstenmal gute Aufnahmen des sog.
Tuan Fang-Tischs, der jetzt im Metropolitan Mu-
seum steht. Auch diese Bronzen dürften nicht an
den Anfang, sondern ans Ende der Chou-Zeit ge-
setzt werden. Umriß und Ornamentik wirken mehr
archaisierend als archaisch, wie ein Barock, nicht
wie eine ganz kultgebundene Kunst.
Eine köstliche Ts’in-Bronze New York (PI. io4)
zeigt an den vertieften Stellen Reste farbiger Paste,
Pelliot hat kürzlich als erster auf diese wichtige
Tatsache verwiesen. Dem sonst sehr zuverlässigen
Übersetzer Buhot ist auf Seite /j2 ein sinnstörendes
Mißverständnis unterlaufen, er spricht von dem
»Becher Kou, dessen Fuß durch eine Glocke« ge-
bildet wird, meint aber die im Inneren des Fußes
aufgehängte kleine Glocke. Das Ausschwingen von
Füßen und Griffen kann nicht, wie Siren Seite 56
behauptet, nur für die Han — sondern schon für
die Ts’in-Zeit in Anspruch genommen werden. All-
zu apodiktische Feststellungen bedürfen überhaupt
der Korrektur, z.B. die, daß die Chou-Keramik
keine Glasur gekannt hätte. Eine sicher sehr frühe
Ton-Cikade in Berliner Privatbesitz harrt als Ge-
genbeweis der Veröffentlichung.
Das Jade-Kapitel verlangt wenig Anmerkungen.
Ob das Loch am unteren Ende der Messer als zur
Befestigung an einer Stange bestimmt gedeutet
werden kann, erscheint fraglich, wenn man sich
der stark gebogenen Messer erinnert, die unmög-
lich quer gesessen haben können. In einem, auch
von Pelliot für einen Vogel gehaltenen Tier (PI.
73) sieht Sii’en einen Tiger.
Der zweite Teil des Buches verdient besondere An-
erkennung, die zeitliche und stilistische Reihung
der Spiegel oder der Agraffen bedeutet eine we-
sentliche Bereicherung der chinesischen Kunstge-
schichte. Ein gleiches gilt für die überzeugende
Unterscheidung zwischen dem raffinierten Stil des
Staates Tch’ou und dem plastischen des Staates
Ts’in im driften Jahrhundert v. Chr. Aus den vie-
len Exkursen, die sich an das neue Material Si-
rens anschließen lassen, sei einer hervorgehoben.
Die Kozlov-Expedition fand in der Mongolei eine
durchbrochene Jade-Scheibe von weißlicher Farbe.
Das überaus bedeutsame Stück hatte man der Ber-
liner China-Ausstellung vorenthalten mit der Be-
gründung, daß es vielleicht in späterer Zeit in das
Han-Grab gelangt sein könnte. Sein fast neues
Aussehen und die verwickelte Ornamentik waren
schuld an den Zweifeln. Die Jade-Scheibe stimmt
aber mit dem Muster eines in Stockholm befind-
lichen Spiegels (PI. 85 b) so außerordentlich über-
ein, daß man sie mit Sicherheit in den Beginn der

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