Typographie
Es fehlt die Entwicklung des Musiknotendruckes
von den Versuchen H a n s F r o s c h a u e r s in Augs-
burg (i/j.73), dem Druck der Figuralmusik durch
0. Petrucci in Venedig an bis zur typographi-
schen Lösung des Notendruckes durch J. Breit-
kopf und dem modernen Notendruck, wie auch
die Erwähnung des Blindendruckes — des L.
Braille sehen Alphabets •—, der gerade nach
dem Kriege steigende Bedeutung erlangte. Auch
das von dem Deutsch-Amerikaner Caspar II e r r-
mann erfundene Offsetverfahren müßte in einer
Neuauflage kurz beschrieben werden.
Bei Besprechung der Universitätsbibliotheken ver-
mißt Bef. die Wiener Universitätsbibliothek,
wie auch die Bibliotheken der österreichi-
schen Barockklöster, die in ihrer einzigarti-
gen Prachtentfaltung zu den großartigsten und
eigenartigsten Erscheinungen der Bibliotheks-Kul-
tur gehören. Anton Reichel
E. CONSENTIUS: DIE TYPEN DER INKUNA-
BEL-ZEIT. Eine Betrachtung. Berlin, W. de
Gruyter, 192g.
Seit Jahrzehnten konzentriert sich die Inkunabel-
wissenschaft fast ausschließlich auf die Erfor-
schung und systematische Gruppierung der Typen.
In dem genial angelegten Typenrepertorium von
Konrad IJäbler haben diese Bestrebungen ihren
vollkommensten Ausdruck gefunden. Man kann
ohne Übertreibung sagen, daß fast alle Arbeiten
der zwei letzten Jahrzehnte über Wiegendrucke,
von den kleinsten Aufsätzen bis zum Gesamtkata-
log im Banne der Iläblerschen Ideen gestanden
sind. IJäbler, der, wie bekannt, sich auf bedeutende
Vorarbeiten speziell auf Proctor stützen konnte,
hat den Grundsatz formuliert, daß die Gestalt der
Typen von der größten Bedeutung für die Inku-
nabelforschung wäre und daß die Identifizierung
unsignierter Drucke durch das Erkennen der Ty-
pen, ja beinahe nur durch den systematischen Ty-
penvergleich wirklich erfolgreich durchgeführt
werden könne. Diese überragende Bedeutung, die
der Type bei der systematischen Ordnung der
Drucke zugewiesen wurde, war nur dann aufrecht
zu erhalten, wenn es gelang zu beweisen, daß die
Type imstande ist, den individuellen Charakter
eines Druckers zu repräsentieren oder, wie der
kunsthistorische Terminus lauten würde, daß sie
die »Handschrift« einer Persönlichkeit verrät. Häb-
ler glaubte sich zur Annahme berechtigt, der Type
der Wiegendrucke diesen persönlichen Charakter
zuzuschreiben, der die Drucker unserer Inkunabeln
zu künstlerischen Persönlichkeiten stempeln würde.
Diese Ansicht beruht auf der Hypothese, daß jeder
Drucker sich sein Typenmaterial selbst hergestellt
habe. Gegen eine derartige Annahme haben schon
seit Jahren vereinzelte immer wieder Stellung ge-
nommen. Wir wußten, daß Typen verkauft wur-
den. So hat, um einige Beispiele zu zitieren, Proc-
tor nachgewiesen, daß die Type des Terenz (Ulm,
Dinkmut, i486) aus Italien importiert worden
war. Die kleine gotische Type (Proctor 616), die
zuerst 1478 in Mantua, dann in Venedig vorkommt,
findet sich i479 in Lyon und 1482 in Wien.
(Claudin III, 216, Mayer I, 11.) Koelhoff und
Kumme haben ihre Typen wahrscheinlich aus Ita-
lien bezogen. In Lyon wurden sehr häufig venezia-
nische Typen verwendet. Auch Holzschnitte und
Zierbuchstaben wanderten von Werkstatt zu Werk-
statt. Aber erst Consentius hat in seinem Buch den
hypothetischen Charakter dieser Annahme er-
kannt und untersucht. In einem äußerst tempera^
mentvollen, nur leider ab und zu etwas zu schar-
fen Ton, hat er mit zwingenden Beweisen die
Häblersche Theorie widerlegt. Seine Untersuchung
des Problems, »Welche Bedeutung haben die Ty-
pen bei der Identifizierung unserer Frühdrucke?«,
beruht auf zwei Punkten, 1. auf einer Durchfor-
schung der Urkunden, 2. auf einer kritischen Wür-
digung des Materials.
Auf Grund der urkundlichen Quellen erscheint
es mehr als wahrscheinlich, daß bereits im i5. Jahr-
hundert Typen gewerblich, also zum Zwecke des
Wiederverkaufs hergestellt wurden. Eindeutig be-
wiesen ist, daß Typen 1. verkauf t wurden (sei es von
einem Drucker an einen Zunftgenossen oder, wie es
nursehrwahrscheinlicbist, von einer Schriftgießerei
an einen Drucker), 2. daß sie verliehen wurden, 3.
daß sie testamentarisch vermacht wurden. Damit
ist der quellenmäßige Beweis geliefert, daß die
Typen nicht geeignet sind, im Sinne der oben-
angeführten Definition Zeugnis für die »Hand-
schrift« eines Druckers zu geben.
Die zweite, viel schwierigere Frage war, ob auch
das Material, das als das Primäre vielleicht in
erster Linie zu befragen gewesen wäre, mit dieser
neuen, auf Grund von Urkunden gewonnenen
Überzeugung übereinstimmt. Nun läßt es sich tat-
sächlich nachweisen (Consentius konnte sich dar-
auf beschränken, in der Mehrzahl bekannte und
bisher unwidersprochene Beispiele zu zitieren), daß
identische Typen bei verschiedenen Druck-
werkstätten Vorkommen.
Da wir es nun als erwiesen annehmen müssen, daß
ein großer Teil der Drucker ihre Typen nicht
selbst geschaffen hat, es ist dabei gleichgültig, ob
das außerhalb ihrer finanziellen Möglichkeit ge-
wesen ist oder ob sie die handwerkliche Fähigkeit
dazu gar nicht besaßen, sind wir zur Frage ver-
pflichtet, ob denn die Drucker überhaupt ein
Interesse daran hatten, in ihren Typen eine per-
sönliche Note zu verraten. Als Ausdruck ihres
künstlerischen Formwollens könnte es nicht gewer-
tet werden, denn es fehlt das Selbstschöpferische.
Wollten sie ihren Namen sozusagen der Nachwelt
überliefern, so hätten sie das auf eine einfachere
Weise im Drucke selbst tun können, wie es ja oft
genug geschehen ist. Taten sie das nicht, so hat-
ten sie ihre zwingenden Gründe dafür, sei es, daß
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Es fehlt die Entwicklung des Musiknotendruckes
von den Versuchen H a n s F r o s c h a u e r s in Augs-
burg (i/j.73), dem Druck der Figuralmusik durch
0. Petrucci in Venedig an bis zur typographi-
schen Lösung des Notendruckes durch J. Breit-
kopf und dem modernen Notendruck, wie auch
die Erwähnung des Blindendruckes — des L.
Braille sehen Alphabets •—, der gerade nach
dem Kriege steigende Bedeutung erlangte. Auch
das von dem Deutsch-Amerikaner Caspar II e r r-
mann erfundene Offsetverfahren müßte in einer
Neuauflage kurz beschrieben werden.
Bei Besprechung der Universitätsbibliotheken ver-
mißt Bef. die Wiener Universitätsbibliothek,
wie auch die Bibliotheken der österreichi-
schen Barockklöster, die in ihrer einzigarti-
gen Prachtentfaltung zu den großartigsten und
eigenartigsten Erscheinungen der Bibliotheks-Kul-
tur gehören. Anton Reichel
E. CONSENTIUS: DIE TYPEN DER INKUNA-
BEL-ZEIT. Eine Betrachtung. Berlin, W. de
Gruyter, 192g.
Seit Jahrzehnten konzentriert sich die Inkunabel-
wissenschaft fast ausschließlich auf die Erfor-
schung und systematische Gruppierung der Typen.
In dem genial angelegten Typenrepertorium von
Konrad IJäbler haben diese Bestrebungen ihren
vollkommensten Ausdruck gefunden. Man kann
ohne Übertreibung sagen, daß fast alle Arbeiten
der zwei letzten Jahrzehnte über Wiegendrucke,
von den kleinsten Aufsätzen bis zum Gesamtkata-
log im Banne der Iläblerschen Ideen gestanden
sind. IJäbler, der, wie bekannt, sich auf bedeutende
Vorarbeiten speziell auf Proctor stützen konnte,
hat den Grundsatz formuliert, daß die Gestalt der
Typen von der größten Bedeutung für die Inku-
nabelforschung wäre und daß die Identifizierung
unsignierter Drucke durch das Erkennen der Ty-
pen, ja beinahe nur durch den systematischen Ty-
penvergleich wirklich erfolgreich durchgeführt
werden könne. Diese überragende Bedeutung, die
der Type bei der systematischen Ordnung der
Drucke zugewiesen wurde, war nur dann aufrecht
zu erhalten, wenn es gelang zu beweisen, daß die
Type imstande ist, den individuellen Charakter
eines Druckers zu repräsentieren oder, wie der
kunsthistorische Terminus lauten würde, daß sie
die »Handschrift« einer Persönlichkeit verrät. Häb-
ler glaubte sich zur Annahme berechtigt, der Type
der Wiegendrucke diesen persönlichen Charakter
zuzuschreiben, der die Drucker unserer Inkunabeln
zu künstlerischen Persönlichkeiten stempeln würde.
Diese Ansicht beruht auf der Hypothese, daß jeder
Drucker sich sein Typenmaterial selbst hergestellt
habe. Gegen eine derartige Annahme haben schon
seit Jahren vereinzelte immer wieder Stellung ge-
nommen. Wir wußten, daß Typen verkauft wur-
den. So hat, um einige Beispiele zu zitieren, Proc-
tor nachgewiesen, daß die Type des Terenz (Ulm,
Dinkmut, i486) aus Italien importiert worden
war. Die kleine gotische Type (Proctor 616), die
zuerst 1478 in Mantua, dann in Venedig vorkommt,
findet sich i479 in Lyon und 1482 in Wien.
(Claudin III, 216, Mayer I, 11.) Koelhoff und
Kumme haben ihre Typen wahrscheinlich aus Ita-
lien bezogen. In Lyon wurden sehr häufig venezia-
nische Typen verwendet. Auch Holzschnitte und
Zierbuchstaben wanderten von Werkstatt zu Werk-
statt. Aber erst Consentius hat in seinem Buch den
hypothetischen Charakter dieser Annahme er-
kannt und untersucht. In einem äußerst tempera^
mentvollen, nur leider ab und zu etwas zu schar-
fen Ton, hat er mit zwingenden Beweisen die
Häblersche Theorie widerlegt. Seine Untersuchung
des Problems, »Welche Bedeutung haben die Ty-
pen bei der Identifizierung unserer Frühdrucke?«,
beruht auf zwei Punkten, 1. auf einer Durchfor-
schung der Urkunden, 2. auf einer kritischen Wür-
digung des Materials.
Auf Grund der urkundlichen Quellen erscheint
es mehr als wahrscheinlich, daß bereits im i5. Jahr-
hundert Typen gewerblich, also zum Zwecke des
Wiederverkaufs hergestellt wurden. Eindeutig be-
wiesen ist, daß Typen 1. verkauf t wurden (sei es von
einem Drucker an einen Zunftgenossen oder, wie es
nursehrwahrscheinlicbist, von einer Schriftgießerei
an einen Drucker), 2. daß sie verliehen wurden, 3.
daß sie testamentarisch vermacht wurden. Damit
ist der quellenmäßige Beweis geliefert, daß die
Typen nicht geeignet sind, im Sinne der oben-
angeführten Definition Zeugnis für die »Hand-
schrift« eines Druckers zu geben.
Die zweite, viel schwierigere Frage war, ob auch
das Material, das als das Primäre vielleicht in
erster Linie zu befragen gewesen wäre, mit dieser
neuen, auf Grund von Urkunden gewonnenen
Überzeugung übereinstimmt. Nun läßt es sich tat-
sächlich nachweisen (Consentius konnte sich dar-
auf beschränken, in der Mehrzahl bekannte und
bisher unwidersprochene Beispiele zu zitieren), daß
identische Typen bei verschiedenen Druck-
werkstätten Vorkommen.
Da wir es nun als erwiesen annehmen müssen, daß
ein großer Teil der Drucker ihre Typen nicht
selbst geschaffen hat, es ist dabei gleichgültig, ob
das außerhalb ihrer finanziellen Möglichkeit ge-
wesen ist oder ob sie die handwerkliche Fähigkeit
dazu gar nicht besaßen, sind wir zur Frage ver-
pflichtet, ob denn die Drucker überhaupt ein
Interesse daran hatten, in ihren Typen eine per-
sönliche Note zu verraten. Als Ausdruck ihres
künstlerischen Formwollens könnte es nicht gewer-
tet werden, denn es fehlt das Selbstschöpferische.
Wollten sie ihren Namen sozusagen der Nachwelt
überliefern, so hätten sie das auf eine einfachere
Weise im Drucke selbst tun können, wie es ja oft
genug geschehen ist. Taten sie das nicht, so hat-
ten sie ihre zwingenden Gründe dafür, sei es, daß
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