Heidelberger Tagdlatt.
M 21L. Dicnstag, II. Scvtc„,b-r LNS'kLLL'LL'ZL 186«.
D e rr t s ch l a rr
Karlsruhe, 6. Sept. Die herzoglich
Aii.halt-Dtssauische Ncgi'erung läßt die i'm
Iahr 1856 in Abschni'ttcn von 25 Neichs-
thalern ausgegebencn Kvthen-Bernburger
Clscnbahn-Kassenscheiiie vvllig el'nzi'khcu,
unö hqt zn dcm Endc an die Dcsitzcr
dieser Scheine die Aufsorderung rrgchcn
lassen, dieselbkii bis znm 1. September
1861 zur Einlvsung zn bringen, indem
nach Eintritt dieses Dermins alle nicht
cingelösteil Scheine der beztichnetln Art
ihre Giltigkeit verliercn und alle Ansprnchc
aus densclben an den Kvthen-Bernburger
Eisenbahn-Fond, bezicheiitlich an die herr-
schaftlichcn Kaffen crlvschen.
Karlsrnht', 7. Sept. Bckanntlich
finb bei der Zwciten Kammer unserer
i'andständc in ihrer vorletzten Sitznng
cinige Petitionen nm Erwirknng ciner
ausnahmslosen Amnestie sür allc politi-
schen Vcrurtheiltcn eingelanfcn. Der nabe
bevorstehende Schluß des Landtags ließ
eine Erörterung dieses Gegcnstandes nicht
mchr lhniilich erscheinen. Der vor einigen
Iahren crgangcne Gnadenakt umfaßt alle
pvlitisch Koinpromittirten, welchen Frei-
heitsstrafen bis zu acht Jahren Zuchthaus
zuerkannt waren. Inzwischen sind viele
zu läugerer Strasdauer Verurtheilte
amnestirt worden und in ihre Hcimath
zurückgekchrt. Sv viel uus bekannt, wird
überhuupt die siraffreie Nückkehr in das
Vaterland keincm unserer politischcn
Flüchtlinge mehr versagt, der um dereu
Gewährung nachsucht, noch stcht zu er-
wartcn, daß gcgen solche, die ohne aus-
drucklichc Erlaubniß znrückkchren, mit
dem Vollzug der gegcn sie crgangcnen
Strafurihcile wcrdc vorgefahrcn werden.
Die aiisdrucklichc Verkündiqung ciner
aklgcmeincn Amnestic aber steht unseres
Wisscns zunächst noch „icht in Aussicht.
— Zndcffcn wärc ein solchcr ausnahms-
loscr Akl der Hochhcrzigkeit gcwiß untcr
dcn jctzigcn politischcn Vcrhältuissen
Dentschlands cbcnso sehr ein Wcrk dcr
Menschlichkeit, als der politischen Weis-
heit.
Vom Neckar, 8. Scpt. Unter dem
Ii'terarischcn Nachlaß dcs Frhrn. v. Wes-
scnbcrg findct sich eine grvßere Arbeit nber
das Verhältniß der Kirchc znm Staatc,
dercn baldigem Erschcincn jetzt mit crhöh-
tem Intcreffc cntgcgkngeseheu wird.
Lahr, 7. Sept. Heutc wurde Herr
Nvtar Bittmaun mit 40 Stimmcn gegen
29 als Bürgermeister erwählt.
Koburg, 4. Scpt. Die hcutige Si-
tzung dcs deutschcn Nationalvereins wurdc
um halb 10 Uhr vom Präsidenten, Hrn.
v. Bennigsen, crvffnet Die Ausschußan-
träge in Bezug auf die Verfassnngsform
und dic Amncstic wurdcn gcdrnckt ver-
theilt. Dvn den zahlreichcn Änträgcn und
Vcrbcsscrungsanträgeii einzelner Mitglie-
der sind viele zurückgezogcn. Lic übrigen
zehn werden alle, bis auf einen, sormell
unrersiützt. Die Begründung der Aus-
schußantrüge übernimmt Herr Mctz, Hof-
gerichtsadvokataus Darmstadt. DieGrund-
gcdankeu seincs Vortragcs (der gestcrn
schon knrz erwähnt) waren folgcnde:
Deutschland solle wissen, was der National-
vcrein will; darum gebe dcr Ausschuß ein
klares, nach allen Seiten sorgfältig er-
wogencs Programm; er wolle keine Aende-
rung des Statuts, das durch den Vcitritt
und die Unterschrift aller Mitglicder sanc-
tiouirt sei; er wvlle die bundesstaatliche
Einheit und die einhcitliche Centralgewalt,
milhin keine Trias; er wolle die Ueber-
tragung der Centralgcwalt an Prcnßen,
aber unter der Voraussetzung, daß Prcu-
ßcn die Einheit Deutschlands ernstlich
wolle, denn hoch über dem schwarz-weißen
müsse das schwarz-roth-gvldene Banner
wehen; er wolle Deutsch-Ocsterreich bei
Deutschland erhaltcn, aber nicht Gesammt-
Ocstcrreich, dcnn diese Verbinduug würde
uns vcrnichtcn; er wolle kein Leutsches
Parlamcnt, in welchem ungarisch, polnisch
und italicnisch gesprochen werde. Der
Nationalvcrciii sci fern von doctrinärcr
Prinzipiciireiicrei; cr sei sich bewußt, iu
seincm Prvgramm keinen Paragraphen
dcr dcütschcn Neichsverfassung verlctzt zu
habcn; abcr cr bestrhe auch nicht auf
augenblicklicher Durchführung dersclben;
vielmehr würdc dic Aiisstcllung der Ncichs-
vcrfassung als Panier dcn Vcrrin aus-
cinandcrsprengeii, indem svfort der Streic
über tinzelne Bestimmlliigen der Nciciiö-
vcrfassung wieder losbrcchen würde. Cr
schließe mit dcm Wunsche dcr Hanancr
Patrivten: Seid einig! Die Ansschußaii-
träge bildctcn ciu Cvmprvmiß dcr im
Schvvße des Vercins hcrrschenden cnt-
gegengesetzteu Ansichten, wclchc sich nuii
auch 'in der fast zehnstüiidige» Debatte^
darlegtcn. Es sprachcn iin Ganzen 24
Nedner. Daß Dcutschland eine bundes-
staatlichc Cinheit mit Nativnalvcrsamin-
lung und Centralgewalt bildeu, und taß
die Centralgewalt dem größtcn und mäch-
tigstcn deutschen Staatc, also Prcußen,
zu übertragcii sei, darin schiencn alle
! einig. Soll aber Prenßcn schon jetzt aus-
drücklich im Prvgramm dcs Nationalver-
eins gcnannt oder soll gcsagt werden:
„dcr Staar, welchcr Dcutschland rettet,
soll Dentschlaiids Haupt sein?" soll Preu-
ßens Regicrnng untcr allcn Umständen
an dic Spitze gestcllt wcrden, oder nur
nach abgclegten Proben und unter sichern
Gewährleistungen? Soll die Reichsver-
fassnng von 1849 als Grundlage dcs
deutschen nativnalcn Ncchts hcute nvch
als giltig behauptet unv für dcren Durch-
führung agitirt werden vder ist sic als
aufgegebcn und dcr Gegenwart nicht mehr
cntsprcchend zu betrachtcn? Um diese Fra-
gen bewegte sich der Mcinungskampf. Für
sofortigc Agitation zu Gunsten der Reichs-
verfassnng sprachen OttoLüning von Nheda,
vr. gur. Rückert von Koburg, Ladenburg
von Mannhcim. Geh. Rath Welcker ci-
fcrte mit jugendlichein Feuer für das
dcutsche Recht; dic Verfassung von 1849
sei durch legilime Mi'twirknng der Für-
sten uiid der gcwähltcn Volksverlreter zu
Stande gtkoininen; sie bestehe heute nvch
als rechtsgiltig; Preußen sei verpflichtct,
Deutschland zu seinrm Rechte zu verhel-
fen; dcr Prinz-Regent möge provisorisch
Aenderungen in der Verfassung vornehmen,
wo nöthig; aber auf Grund dcs Wahl-
gesetzeS von 1849 müsse das deutsche
Parlament zusaiumengerufen werden, wel-
ches über die Revision der Verfassung zn
beschließen habe. Das Ncchtsgefühl sei
in maiichcni deutschen Lande iiiißhandelt
wordeu, es sei an der Zeit, daß das Nccht
anerkaunt werdc, nnd nnr auf dem Boden
seincs unbcstreitbareii Nechtes werde das
dcutschc Volk sich einigen. Dagegen ver-
tratcn Braunfcls (Frankfurt),' Amelung
(Stetiiii) und Streckfuß (Berlin) die An-
sicht: dic Neichsverfassung Vvn 1849 habe
unr nvch historischcn Werth, keine recht-
liche Gcltung. Ersterer beantragte im
Namen der Frankfurter Nationalvereins-
mitgliedcr, dcr Name Preußen solle auS
dcm Programm wegbleiben und dafür dcr-
jcnige Staat als 'Trägcr der> Ccntralge-
walt bezeichnct werden,' welcher'sich dicses
Vvrznges würdig erwrisc. Di'esem An-
M 21L. Dicnstag, II. Scvtc„,b-r LNS'kLLL'LL'ZL 186«.
D e rr t s ch l a rr
Karlsruhe, 6. Sept. Die herzoglich
Aii.halt-Dtssauische Ncgi'erung läßt die i'm
Iahr 1856 in Abschni'ttcn von 25 Neichs-
thalern ausgegebencn Kvthen-Bernburger
Clscnbahn-Kassenscheiiie vvllig el'nzi'khcu,
unö hqt zn dcm Endc an die Dcsitzcr
dieser Scheine die Aufsorderung rrgchcn
lassen, dieselbkii bis znm 1. September
1861 zur Einlvsung zn bringen, indem
nach Eintritt dieses Dermins alle nicht
cingelösteil Scheine der beztichnetln Art
ihre Giltigkeit verliercn und alle Ansprnchc
aus densclben an den Kvthen-Bernburger
Eisenbahn-Fond, bezicheiitlich an die herr-
schaftlichcn Kaffen crlvschen.
Karlsrnht', 7. Sept. Bckanntlich
finb bei der Zwciten Kammer unserer
i'andständc in ihrer vorletzten Sitznng
cinige Petitionen nm Erwirknng ciner
ausnahmslosen Amnestie sür allc politi-
schen Vcrurtheiltcn eingelanfcn. Der nabe
bevorstehende Schluß des Landtags ließ
eine Erörterung dieses Gegcnstandes nicht
mchr lhniilich erscheinen. Der vor einigen
Iahren crgangcne Gnadenakt umfaßt alle
pvlitisch Koinpromittirten, welchen Frei-
heitsstrafen bis zu acht Jahren Zuchthaus
zuerkannt waren. Inzwischen sind viele
zu läugerer Strasdauer Verurtheilte
amnestirt worden und in ihre Hcimath
zurückgekchrt. Sv viel uus bekannt, wird
überhuupt die siraffreie Nückkehr in das
Vaterland keincm unserer politischcn
Flüchtlinge mehr versagt, der um dereu
Gewährung nachsucht, noch stcht zu er-
wartcn, daß gcgen solche, die ohne aus-
drucklichc Erlaubniß znrückkchren, mit
dem Vollzug der gegcn sie crgangcnen
Strafurihcile wcrdc vorgefahrcn werden.
Die aiisdrucklichc Verkündiqung ciner
aklgcmeincn Amnestic aber steht unseres
Wisscns zunächst noch „icht in Aussicht.
— Zndcffcn wärc ein solchcr ausnahms-
loscr Akl der Hochhcrzigkeit gcwiß untcr
dcn jctzigcn politischcn Vcrhältuissen
Dentschlands cbcnso sehr ein Wcrk dcr
Menschlichkeit, als der politischen Weis-
heit.
Vom Neckar, 8. Scpt. Unter dem
Ii'terarischcn Nachlaß dcs Frhrn. v. Wes-
scnbcrg findct sich eine grvßere Arbeit nber
das Verhältniß der Kirchc znm Staatc,
dercn baldigem Erschcincn jetzt mit crhöh-
tem Intcreffc cntgcgkngeseheu wird.
Lahr, 7. Sept. Heutc wurde Herr
Nvtar Bittmaun mit 40 Stimmcn gegen
29 als Bürgermeister erwählt.
Koburg, 4. Scpt. Die hcutige Si-
tzung dcs deutschcn Nationalvereins wurdc
um halb 10 Uhr vom Präsidenten, Hrn.
v. Bennigsen, crvffnet Die Ausschußan-
träge in Bezug auf die Verfassnngsform
und dic Amncstic wurdcn gcdrnckt ver-
theilt. Dvn den zahlreichcn Änträgcn und
Vcrbcsscrungsanträgeii einzelner Mitglie-
der sind viele zurückgezogcn. Lic übrigen
zehn werden alle, bis auf einen, sormell
unrersiützt. Die Begründung der Aus-
schußantrüge übernimmt Herr Mctz, Hof-
gerichtsadvokataus Darmstadt. DieGrund-
gcdankeu seincs Vortragcs (der gestcrn
schon knrz erwähnt) waren folgcnde:
Deutschland solle wissen, was der National-
vcrein will; darum gebe dcr Ausschuß ein
klares, nach allen Seiten sorgfältig er-
wogencs Programm; er wolle keine Aende-
rung des Statuts, das durch den Vcitritt
und die Unterschrift aller Mitglicder sanc-
tiouirt sei; er wvlle die bundesstaatliche
Einheit und die einhcitliche Centralgewalt,
milhin keine Trias; er wolle die Ueber-
tragung der Centralgcwalt an Prcnßen,
aber unter der Voraussetzung, daß Prcu-
ßcn die Einheit Deutschlands ernstlich
wolle, denn hoch über dem schwarz-weißen
müsse das schwarz-roth-gvldene Banner
wehen; er wolle Deutsch-Ocsterreich bei
Deutschland erhaltcn, aber nicht Gesammt-
Ocstcrreich, dcnn diese Verbinduug würde
uns vcrnichtcn; er wolle kein Leutsches
Parlamcnt, in welchem ungarisch, polnisch
und italicnisch gesprochen werde. Der
Nationalvcrciii sci fern von doctrinärcr
Prinzipiciireiicrei; cr sei sich bewußt, iu
seincm Prvgramm keinen Paragraphen
dcr dcütschcn Neichsverfassung verlctzt zu
habcn; abcr cr bestrhe auch nicht auf
augenblicklicher Durchführung dersclben;
vielmehr würdc dic Aiisstcllung der Ncichs-
vcrfassung als Panier dcn Vcrrin aus-
cinandcrsprengeii, indem svfort der Streic
über tinzelne Bestimmlliigen der Nciciiö-
vcrfassung wieder losbrcchen würde. Cr
schließe mit dcm Wunsche dcr Hanancr
Patrivten: Seid einig! Die Ansschußaii-
träge bildctcn ciu Cvmprvmiß dcr im
Schvvße des Vercins hcrrschenden cnt-
gegengesetzteu Ansichten, wclchc sich nuii
auch 'in der fast zehnstüiidige» Debatte^
darlegtcn. Es sprachcn iin Ganzen 24
Nedner. Daß Dcutschland eine bundes-
staatlichc Cinheit mit Nativnalvcrsamin-
lung und Centralgewalt bildeu, und taß
die Centralgewalt dem größtcn und mäch-
tigstcn deutschen Staatc, also Prcußen,
zu übertragcii sei, darin schiencn alle
! einig. Soll aber Prenßcn schon jetzt aus-
drücklich im Prvgramm dcs Nationalver-
eins gcnannt oder soll gcsagt werden:
„dcr Staar, welchcr Dcutschland rettet,
soll Dentschlaiids Haupt sein?" soll Preu-
ßens Regicrnng untcr allcn Umständen
an dic Spitze gestcllt wcrden, oder nur
nach abgclegten Proben und unter sichern
Gewährleistungen? Soll die Reichsver-
fassnng von 1849 als Grundlage dcs
deutschen nativnalcn Ncchts hcute nvch
als giltig behauptet unv für dcren Durch-
führung agitirt werden vder ist sic als
aufgegebcn und dcr Gegenwart nicht mehr
cntsprcchend zu betrachtcn? Um diese Fra-
gen bewegte sich der Mcinungskampf. Für
sofortigc Agitation zu Gunsten der Reichs-
verfassnng sprachen OttoLüning von Nheda,
vr. gur. Rückert von Koburg, Ladenburg
von Mannhcim. Geh. Rath Welcker ci-
fcrte mit jugendlichein Feuer für das
dcutsche Recht; dic Verfassung von 1849
sei durch legilime Mi'twirknng der Für-
sten uiid der gcwähltcn Volksverlreter zu
Stande gtkoininen; sie bestehe heute nvch
als rechtsgiltig; Preußen sei verpflichtct,
Deutschland zu seinrm Rechte zu verhel-
fen; dcr Prinz-Regent möge provisorisch
Aenderungen in der Verfassung vornehmen,
wo nöthig; aber auf Grund dcs Wahl-
gesetzeS von 1849 müsse das deutsche
Parlament zusaiumengerufen werden, wel-
ches über die Revision der Verfassung zn
beschließen habe. Das Ncchtsgefühl sei
in maiichcni deutschen Lande iiiißhandelt
wordeu, es sei an der Zeit, daß das Nccht
anerkaunt werdc, nnd nnr auf dem Boden
seincs unbcstreitbareii Nechtes werde das
dcutschc Volk sich einigen. Dagegen ver-
tratcn Braunfcls (Frankfurt),' Amelung
(Stetiiii) und Streckfuß (Berlin) die An-
sicht: dic Neichsverfassung Vvn 1849 habe
unr nvch historischcn Werth, keine recht-
liche Gcltung. Ersterer beantragte im
Namen der Frankfurter Nationalvereins-
mitgliedcr, dcr Name Preußen solle auS
dcm Programm wegbleiben und dafür dcr-
jcnige Staat als 'Trägcr der> Ccntralge-
walt bezeichnct werden,' welcher'sich dicses
Vvrznges würdig erwrisc. Di'esem An-