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Heidelberger Tagblatt — 1860 (Juli bis Dezember)

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August
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https://doi.org/10.11588/diglit.2834#0113

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182.

ll». PrciS blaii rl'kricl'

Samftag, 4.Aug„st 1860.


D e n t s ch l a n d.

Karlsruhe, 30. Juli. Fortsetzung drr
Rede dcs Abg. Hciusser in der 60. ös;cnt-
licheu Sitzuug dcr 2. Kauuuer cnu 27. Iuli.
Ich crlaube mir nuu eiu Wort aus dcm
Munde des grüudlichsteu Keuuers der cng-
lischen Vtrfassuugöv'rrhältuisse auzuführeu,
nämlich Wvrte aus dem Muüde Gucists,
die stch auf unsere Verhältuisse bezicheu.
Er sagt, zu ciuer solcheu Vcrfassuug ge-
hörte auch eiu eigeucs Vcrwaltungsspstem.
Weggclassen sind 20 weitcrc Sätzc, die
die Verfassuug mit der Verwaltuug ver-
binden, z. B. der Satz, daß „Gtistliche,
die sich zuTrauungswcigeruugen verbiudeu,
wegcu eon8pirav)' mit eiu oder zwci Iahrcn
Gcfäuguiß zu bestrafen, daß kirchliche Er-
lasse,durch welchegesrtzwldrigcDediugungen
der Trauung, der Kindererziehling u. s. w.
proclamirt werdeu, umer das kiaeinuoii e
fallcu." Die Corporatiouen siud dort frei
nnd selbstständig, wic iu kaum eiucm Staate
dcs Fcstlaudes; allein mau würde es aller
gesuudeu Veruunft uud Politik für völlig
widersprecheud halten, weuu eiue eiuzelnc
sich anmaßte, deu Gehorsam gcgeu die
Eesctze zu bestreiteu. So handelt eiu Volk,
das gewiß seiue Freiheit, aber auch sei'ue
Ordnung trculich gewahrt wissen will.
Ebcn mit dicsem Puukte berühreu wir aber
den wuudeu Fleck der neuercn kirchlicheu
Eutwickluiigeii. Es verhält sich nicht so,
daß es sich uur von dcr katholi'schcn Kirchc
zunächst handrlt, sviidcrn es gilt auch der
andcru Kirchc. Das Beispi'cl war ou-
stcckcnd. Der Gcpauke, daß mit Be-
rufuug auf das Gewisscn cü erlaubt
sei, Gcsctzc zu brccken, gestützt auf den
Spruch: Man muß Gott mehr gchorchcn.
als den Mcnschen, auch bei den Prvte-
stantcn eingcrisscn. J„ Prciißeu habcn
ivir cs erlcbt, daß ci'n scit eincm halben
Iahrhundcrt bestchcndcs Gcsctz nicht blos
iu cinzeluru Fülleu svlchcrgcstalk verletzk
wurdc, sondcru ciiizcliie Gcistlichc sich
gegeu Gesctz und Nechl i'u jcncm Laudc
veibundeu habcn. Ju Prcußen war mou
erstauulich uachsichtig uiid es komile dahcr
eiuer der Führer-jcuer Partci nn't ti'uem
gcwissen Behagen vou der „hciligcu A»ar-
chic" sprecheu, dic die protestaniischen
^nstlichen in's Werk gesetzt habcu. Ticse
heilige Slnarchl'e ist durch die Nachgicbig-
keik dcS.Staats, durch die Schwäche des-
selben iinmrr tiefer eingedrungen und man

hat sich m einer Doctrin festgerannt, vou
der cs Mühe kvsteu wird, die Leute zu
dcm Einfachen und Wahreu zurückzuführcu.
Jch will alte Sündcn nicht heraufbcschwö-
ren, aber wenigstens eiu Deispirl anführeu.
Am 11. Novcmbcr 1853 erging ein be-
kannter Hirtcnbricf, worin der Staatsre-
gi'eruug vvrgeworfen wurde, cs hätte die
Staatskirchenverwaltung ciuc solchc Masse
von Vergchen gegen die Kirche vcrschuldet,
„wie kciue Zeit dcr Kircheugeschichte ein
zwcites Beispicl zcigc. Sie hat sich, sagt
der Hirteubricf, am Lehramt vcrgriffeu,
sie hat heilige Sacrameute verletzt. Sie
hat dcr Neligiou die Geltuug, im össcnt-
lichen Lcben des Volkes vorenthalten. Sie
hat dcn Einfluß des Christcnthums auf
den Untcrricht gehemmt. Auf dicsem Wegc
ist das überlieferte sittliche Crbe, der alte
Glaube und die alte Treue verschleudcrt
worden." Solche Dinge richkeu sich, wie
ich glaube, von selbst. Die badische Ne-
gicruug, von der man in kirchlichen Sacheu
eher sagen könnte, daß sie zu milde und
nachsichtig war, und zu scheu voranging,
wird, wcil sie schwach nnd bedrnklich war,
mit Bcschuldigungen bclastet, die dcr frevel-
haftesten Tpranuei der Welt nic gcmacht
wnrdeu. Die Worte des Apostels sind
bercits angeführt worden, der da sagte:
Srid uuterthau der Obrigkeit, und wcr
sich dagegen sträubet, wird scin Urtheil
empfaheu." Wcr war abcr damals dic
Obri'gkeit? Nero war cs — uud uuscre
badische Negieruug wird in dcm Hirten-
bricf mit eiuem Dorwurf belastet, der dem
Nero'schen Negi'ment nicht gemachk wnrde.
Ich führe dics nur an, um zu zeigen, wic
es sich iiiit der heili'gen Auarchic verhält.
Solche Invcctiveu siud damals ungeahudet
geblicbeu. Es i'st der ossene Äufruhr gegen
Gesctz und Necht unbcstraft geblicben. Ist
cs dann ein Wunder, weun man zuletzt
vcrgißt, daß man Pflichtcu gegcu den
Staat hat? Man spricht so viel vou
Gcwissen, und die heilige Anarchic ist sehr
bereit, das Gewisscu voranzustcllcu. Zu
!drm Gcwi'sskii rrchne ich aber auch daS,

! was dem Staat'gegenübrr als bcstimmtc
^hei'li'ge Pflicht, ideuti'sch mir der Kirchen-
ipfli'cht, aufgelegt ward. Zch wi'll »iir
^darau crinuerii, daß seiner Zeit der Hcrr
^ Erzbischof vvn Freiburg, chc cr srin Amt
^antrat, eincn Eid leistcte, wori'u cS a»s-
drücklich hcißt: „Jch vcrspreche dem Groß-
herzogLeopold und AllerhöchstdcsselbenNach- >

folger iu der Negierung, sowie dcu Ge-
sctzcii des Staates Gehorsam und Treue.
Jch vcrsprcche, keiu Eiuvcrständuiß zu un-
terhalteu, an keiner Berathschlagung Theil
zu nchmen uud keine Verbindungen ein-
zugthen, welche die vffentlichc Nuhc ge-
fährden, so wahr mir Gott helfe und sein
heiliges Evangelium." So lautcte am
26. März 1843 der Eid des Herrn Erz-
bischofs, uud mau sollte denken, diesen Eid
nicht zu vergessrn, erscheine ebenfalls als
eine Forderung des Gewiffens. Wir waren
Zrugen von Vorgängen, die man geni
vergessen möchtc, abcr es ist nicht unan-
gemessen, an solche Dinge zu erinnern.
Die Zeit ist zwnr vorüber, wo dcr durch
Erschütteruug geschwächte Staat das Be-
wußtsein seiuer Kraft verlvren hat, uNd
wo durch traurige Ereiguisse gebrochen das
Vvlk theilnahmlos zusah, wie übcr sein
Wöhl und Weh verfügt ward. Die Zeit
ist vorüber, wo eine verbündctc Negierung
gcgenden Schinerzensschrci eineSrebellischen
Ilnterthancu iu Baden nicht taub war,
sondern ihn ermuthigte — Jahre vor der
Zeit, wo die franko-sardische Politik die
Vergeltung übcrnahm. Diese Zeit ist
vorübcr, und dic bittcrn Erfahrungen liegen
vor uns. Sic dürfte sich nicht leicht wie-
derholen, alleiu aussprechcn müsseu wir,
daß wir das Verkrauen haben, sie werden
sich nicht wiederholen. Wohl fragt es sich,
warum gerade Deutschland der Schauplatz
solcher Bewegungen ist, warum man hicr
versuchr ist, elwas gelteud zu machen, wos
mau sonst der großeu europäischcu Natioii
nicht znmuthcu wird. Es ist die traurige
deutschc Zcrrissenheit, dic dcu Muth ein-
gibt, derglcichcn zu thuu. Es wäre jctzt
ön uus Deutschen, zu zeigeu, daß es frucht-
losc Mühe ist, darauf seine Höffnuug zu
setzcn. Drum stehen wir trcu zum Staate.
Der Staat ist kei'nc blos polizeiliche An-
stalt, kciu liumündiges Geschöps, das der
F-l'ihruug der Kirchc bedarf. Der Staat
ist unter alleu modcrncu Jnstitutionen nicht
dicjcnigc, die am wcnigsten dazu-beige-
tragcn hat, christlichen Sinn und Religion
znr'Gcltuug zn bringen, cr ist durch'und
durch mil christlichen Gedanken erfüllt, er
hac eiue gründlichere Durchbildung der
Masscu geschage», als früher cö die Kirche
vcrmochtc, rr hat den Bodcn frer gemacht
uud Glei'chheit dcr Gcsetze in's Lel'cii ge-
rufen , er hat di'e religiösc Duldiilig zu
ihrem Ncchte gcbracht, er hat die allgemeine
 
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