Heidelberger Tagblatt (1860 (Juli bis Dezember))

das Militär ist durch dicsc Passtvität dcr
Civllbchördeii iii dic schwicrigste Posttio»
grbracht, da c6 dcn Erccssen nicht ruhig
zusehcn kaim, iildein fricdliche Bnrgcr cö
zuni Sa)iitze anrnseii, c.S aber cntwcdcr
gar^ nicht odcr init ganzcr Kraft eiiigreifcn
will. Der Aonflict, iind zwar der bliitigc
Conflict zwischcn der Agitation niid der
Rcgieriiiig kann nicht langc aiisblciben;
es heiße förinlich abdaiiken, wcim dcr
Straßciisllgend das Fcld iibcrlasseil wird.
Scbon flnchten erschrockcn Magnatcn iind
Bnrgcr hichcr, dic nicht weiiiger als die
„Schwabcn" dcn pcrsöiilichcn Jiisultcii
dcr aiifgcregtcn Masse erponirt sind, imd
dic Bartci dcr Altconservatflven, wclchc
so fein das Majoritälsvotlini eingcfädclt
hatte, bcginnt ihrc Ohnmacht zu fühlcn;
allcin dcr Stoß ist gcgcbcn, nnd kin
riihiger Verlaiif wärc unter dic Wunder
zn reihcii. Sogar dic katholischcn Gcist-
lichcii stccken Federn auf ihre Hntc und
lassen die Ueberröcke nach iiatl'oiialcni
Mnster schnciden; inan wnthet hier gegcn
dcn nndankbarcn llngarischen Clerns, der
den Felscn des Concordats verläßt, nnd
der Nationalität stch anschlicßt. Der
lingarischc Hofkanzler m,d dcr niigarische
Minister ohne Portefeuille setzen aNe
Hcbel in Bewegnng, die offene Revolke
Ungarns in gcniäßigten Farben zu
schildern; nach allcn Nichtungen des
Landes stnd Doten ausgesandt, iim
Mäßigiing zu prcdigen und kein Mittel
unversucht zu lassen, die Agitation in
jeiieii Schrankcn zu halten, dic cin nu'Ii-
tärischcs Einschreiten unnöthig niachen.
Die Obergespäne werden in diesein Sinnc
wirken, dcnn sic sind Magnaten und
Wnrdenträgcr, und als gereifte Männcr
wissen sie, was auf dein >L>piele steht;
vb es ihnen gelingt, bezweifcln wir, da
der errnngene Erfolg jede Ueberlegung zn
nichte wcrden ließ.

Wien, 4. Dec. Hentc Mittag trat
das Gerücht, Nitter v. Schmerling tretc
in das Ministeriuni ein, niit großer Bc-
stimintheit auf.

K r a n k r e i ch.

Pnris. Die französtsche Regieruiig
hat dcr piemontestschen 80,000 Gewchre
gegen Natcnbezahlung übcrlassen. Graf
Cavour hat den Jngeniciir Ladoni znm
Ankaufe eiiiigkr Kriegsschiffe für die ita-
licnische Flotte nach England geschickt.

Paris, 4. Dec. Die sechs, rcpulikani-
schen Dcputirten: Jnles Favre, Picard,
Ostivier, Darimont für Paris, Henaut für
Marseille, Curi für Lpon, haben in ciner
Konfercnz mit ihrer Partei folgendcn
Beschluß gcfaßt: Wenn der Kaiser in
der Thrvnrede die Auflösung des Gesetz-
gebenden Körpers nicht ankündigt, wcr-
dcn sie sofort ihr Mandat iiieberlegen,
und dies dadnrch uiotivircn, daß die ncue
Lage eS ihnen zur Ehren- und Gewissens-

sache macht, ihr Mandat von den Wählcrn
crncnern und crgänzcn zu lasscn. Ohne
Zweifel wcrdcn noch vicle Abgcordnete
ebcnfalls aus Gründen der Ehre und
dcs Gcwkssens dieseS Beispiel uachahmcn.
Wir wcrden also leicht einigc fünfzig
Ergäiizungswahlcn haben.

Paris, 4. Dcc. Die Umgrstaltung
dcr algicrischcil Vcrwaltung gcht schr lassg-
sam vorwärts. Marschall P e l i s s i c r
macht so grasse soldatischc Grundsähc bci
den Berathungeii geltend, daß seine Ab-
reise nach Algicr noch etwas problematisch
erschcint. Jn dcr am Sonntag gehalteuen
Coiiferenz übcr diese Frage kvnnte man
stch so wenig vcrständigen, daß dcr Kai-
scr die Sitzung aufhob und erklärtc, cr
werde die Attgelcgeuheit mit Zuziehung
von zwei Staatsräthcn erledigcn. .

Paris, 5. Dcc. Dcr „Monitenr"
veröffentlicht ein kais. Dcccet vom 4. d.,
welches dem Marschall Vaillant, Mitglicd
des Gemeinderaths nnd Großmarschall
des Palastes, dcn Titcl eines „Ministers
des kais. Hauses" ertheilt.

Paris. Für die französtsche Kriegs-
flotte sollen nicht weniger als 400 eiscn-
beschlagenc Kanonciiboote nach dcm vom
Kaiser bestiniiiiteii Mnstcr erbaut werden;
wcnigstens ist anf dem Marine-Ministe-
rium viel von diesem Vorhaben die Nede.

Paris, 5. Dcc. Jn der kaiserlichen
Wassenfabrik zu St. Eticnne werden für
Piemont 30,000 Gcwchrc angefcrtigt.
Ebcn dort werdcn 70,000 Fenerschloß-
gcwehre ans den Jahren 1816 bis 1832,
wclche die sardinische Negierung von
Frankreich gckanft hat, mit Pistons vcr-
sehen; 1500 Arbeitcr stnd Tag iliid
Nacht mit dieser Arbeit beschäftigt. Nuß-
land erhält aus derselben Fabrik 1000
Stück gezogene Karabiner.

Paris, 6. Dcc. Der „Moniteur"
veröffentlicht ein Nlliidschreibcn dcs
Ministers dcs Jnnern, Perstgnp, an die
Präfekten: Das Dekret vom 24. Nov.
bereitet eine friedliche Ausübuilg der
Freiheit vor, dercn Eiitwicklung der
Thron Napoleons beschützen wird. Den
Präfekten wird empfohlcn, Nichts zu
vtrsäiimen, um das Wcrk dcr Versöhnnng
dcr Partcien zn vollcnden.

C n g l a n d.

London, 5. Dcc. Die Neuter'sche
Agentnr verösscntlicht eine Depcsche mit
Nachrichten aus'Ncwpork vom 23. Nov. .
500 Mann, die aus dcr Provinz Kansas
kamen, langten an den Ufcrn dcs Missouri
an, in der Abstcht, die Sclavcn zn be-
freien. Harncp zog gegen jene Schaar ans.
— Die Banken von Philadelphia, Balti-
more und Washington habcn ihre Baai-
zahlnngen suspendirt. Dic Bank von
Charlesion hat glcichfalls, doch nnr theil-
weise, diese Maßnahmc getroffen.

S ch w e i z.

Bern, 3. Dec. Die „N. Z. Z." theilt
die hentc gchaltenc Eröffilungsrcde des
Altcrsprästdenten im Nationalrath, Herrn
alt Laiidamnianii Sidler, mit. Ihr
Griliidgevankc ist die Mahiinng zur Ein-
tracht, „zn jener ächten, republikanischen
Tugend, kraft welchcr man, den Sondcr-
sinn in der eigenen Brust bekämpfend,
vhne Wl'dcrstrebung und ohne Groll und
Mißmuth stch hochsinnig der in Schranken
ihrcr Competenz vorhandencn Mehrheit
uiiterwirft." Dcr eigcnen patriotischen
Stimmnng gab Sidler durch folgcnde
Stelle scincr Rede Ansdrnck: „Ja, meine
Herrcn Nationalräthc, dies wollen wir
uns iind dem Schweizervolkc zntrauen;
sollte cs wirklich um nnsere Freiheit, uin
unsere Uliabhängigkeit, um unsere Ehre,
uin die Intcgrität iiiiscres Bodens gelten,
wir würden von atlen Seiten, in und
anßcr dem Buiidesralhhause, die Eine ent-
schlossenc Sprache hörcn, die Sprache:
Alles für die gcnanntcn Gütcr zu wagen,
Alles dafür einzusctzen — Gut und Blut,
Leib und Leben." Die Gefahren der po-
li'tischen Lagx und dic Stellung der Eid«
genossen zn derselbcn berührte der Ncdner
hanptsächlich in folgendcr Stelle:„Meine
Hcrren Nationalräthe! Bci Betrachtung
nnserer jetzigen Lage gegen das Ausland
lassen wir uns dnrch zu lebhafte Vor-
stelliingkii fernc licgender, möglicher Ge-
fahren nicht zn sehr eiirnehmen und be-
hcrrschen. Gelingt eS dcr eingeleiteten
diploniatischeii Vcrweiidnng nicht, solche
hinlänglich abzuwenden, koininen selbe näher
und erschcinen sie mehr wirklich, als nnr
möglich, so werden wir vereint ihncn
mannhaft begegnen. Inzwischeii sollen sie
iins nicht Geist und Grmüth liiiidüstern,
uns nicht niißstimnien, nns nicht eiitzweicn
und gegen eiiiandcr crbittcrn, iins nicht
den Lebeiismuth schwächen, nicht dic That-
kraft. zum Guten lähmen, — nein, sie
so.llen uns nicht hindcrn, zumal in dieser
feierlichcn Stunde nicht hindern, unsere
Brüberlichkeit, unsere gcgenseitigen frennd-
schaftlichen, wohlwollendrn Beziehnngen
zu erneucrn, unsere staatliche Verbindung
zu kräftigen nnd uns der Lichtseiten und
drr Vorzüge unsercs herrlichen Vater-
landes hoch nnd festlich zn crfrenen."

Italien

Nou», 22. Nov. Die Königin-Wittwe
von Neapcl langte als Gräfin von Santa-
Cccilia mit ihren Söhnen nnd Töchtern
vorgestcrn von Gaeta hicr an; sie wnrdc
a» der Eisenbahnstation von Cardinal An-
tonelli cmpfangrn und nach dem Qiiiri-
nalischen Palast geleitet, w.o sic ihr Logis
genommr». Dcr Papst machte ihr in gro-
ßer Auffahrt seinrn Besuch. So beherbergt
Rom jetzt zwei verwittwele Könkginnen
aus dem Hause Bourbvn, jene die Ge-
mahlin Ferdinands vo» Spanr'en und diefe