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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Gurlitt, Cornelius: Arnold Böcklin
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0031

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IX. Jahrgang. Deft 2.

iz. Oktober 1897,.

tzerausgegeüen bon Friedrich Pecht

-4-

..Tie Kunst für Alle" erscheint in halbmonatlichen Heften von 2 Bogen reich illustrierten Textes und 4 Bilderbeilagcn in Umschlag geheftet. Bezugspreis im
Buchhandel oder durch die Post lReichzpostverzeichnis Nr. 3651, daher. Verzeichnis Nr. 1871, k. u. I. österr. Zeitungsliste Nr. 42g) 3 M. 60 Pf. sür das Vierteljahr
__ (6 Hefte); das einzelne Heft 75 Pf.__

A r n a l d Bücltlin.

von Cornelius Gurlitt.




^or mir liegt eine Nachbildung von Böcklins
„Prometheus" (S. Bilderbeilage). Das Bild taucht
vor meinem Gedächtnis in allen Einzelheiten auf: Hohe
Felsen, an die das purpnrschwarze Meer emporzüngelt.
Auf den Felsen Ölbäume mit knorrigen Stämmen und
silbergrünen Blättern, vom Sturm gepeitscht; höher
hinauf Felsen auf Felsen, bis zum hohen Berg sich
türmend, dessen Rücken die jagenden Wolken berühren.
Das Ganze unheimlich düster, doppelt düster durch das
Widerspiel der kalten, weißen Sonnenlichter, die in breiten
Flecken durch die Wolken ziehen. Eine riesige Landschaft
ohne realistische Absicht, sondern ganz aus der Stimmung ge-
boren, wie ich nur von einem Meister ähnliche kenne: Rubens'
Landschaften in Dresden und London. Nicht Abbildung,
sondern Neubildung; nicht Darstellung eines in der Natur-
gesehenen Augenblickes, sondern die Wiedergabe eines
inneren Schauens; eine den Ton steigernde Umschreibung
dessen, was der Meister vor der Natur empfand. Nicht
eine Harmonie, sondern eine Auflösung von Dissonanzen,
welche, durch die Kraft eines starken Mannes gezwungen,
künstlerischer Ausdruck einer bestimmten Empfindung wurden.

Und oben auf dem Felsen ein gefesselter Mann. Er
ist groß, dieser Mann. Man vergleiche seine Glieder mit
der Umgebung im Sinne des abschätzenden Geometers,
etwa den linken Fuß, die rechte Hand: Ein guter Fuß-
gänger hätte wohl zwei, drei Stunden zu steigen, ehe er
den Riesen von der Küste aus erreichte. Er ruht auf einer
Höhe, bis zu der der Ölbaum nicht zu klettern vermag. Die Felsenklüste erscheinen klein unter seiner Wucht. So eine
Zehe mag seine zwei, dreihundert Meter messen, so ein Fuß seine tausend Meter, so ein Bein dreitausend, — der
Gott ist viel größer als alle Berge ringsum, wohl sechstausend Meter hoch, wollte er sich aufrichten. Das ist groß,
— ein so großer Gott ist nach der meisten Menschen Meinung eigentlich nicht viel mehr als ein schlechter Witz,
mahnt an Swifts witzige Dichtungen, an Gullivers Reisen! —> Wie läßt nur Goethe in seiner köstlichen Satire
„Götter, Helden und Wieland" den guten, in der Nachtmütze anftretenden Dichter sagen, als ihm Herkules in
der Unterwelt entgegentritt? „Ich habe nichts niit euch zu schaffen, Koloß! — Ich vermutete einen stattlichen Mann
von mittlerer Größe! — Wenn ihr Herkules seid, so seid ihr's nicht gemeint. — Ich gestehe, das ist der erste
Traum, den ich so habe! — Wahrhaftig ihr seid ungeheuer. Ich Hab' euch mir niemals so imaginiert!"

Was kann Promotheus dafür, daß nun endlich einer kam, der sich seiner Größe annahm und sie sich
recht imaginierte; daß die Nachtmütze zu tief über den Köpfen der Menschen auch unsrer Zeit sich rückte, daß

Selbstbildnis, von Arnold Böcklin.

Im Besitz von A. ssrins-Reichenbeim in Berlin.

Kunst für Alle IX.
 
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