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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Gurlitt, Cornelius: Arnold Böcklin
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0037

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22

Arnold Böcklin.

erfassender Augen in die Welt schaut — staunend, fast er-
schreckt von den Eindrücken; hat dies Kind doch noch das
unsagbare Glück, daß jeder Eindruck ihm neu ist, die Dinge
der Welt ihm alle zum erstenmal vor die Seele treten.

Da ließe sich denn sehr schön eine philosophische
Betrachtung anreihen, über Kinderglück und eine Be-
trachtung über den Ernst der musizierenden Frau!
Leuchtete uns die Landschaft nicht so sehr, und lachte
die Au nicht von weitester Ferne bis unter die Füße
der Kinder in sonnigem Wohlsein! Wäre alles Ge-
dankens Blässe dieser rein sinnlichen Schönheit nicht
fremd. Wäre das Kind nicht so gesund, daß es sich
mit seinen roten Backen und drallen Gliedern unter
den interessant rhachitischen oder hysterischen Kindern
der „Gesellschaft" ganz lächerlich und ungeschickt aus-
nimmt.

„Aber die Schönheit? Ist diese Venus Anadyo-
mene, ist das Weib in der „Brandung" schön!"

Zum Zweck der besseren Auseinandersetzung er-
laubte ich mir oft an die Leute, welche mich Böcklins
wegen um meine Absicht ansprachen — und es sind
deren nicht wenig und alle waren der Absicht, sich nicht
zur Anerkennung seiner Kunstthaten bekehren zu lassen —
die Frage, welche Frauengestalten sie denn für schön
halten. — Und zwar bat ich sie, sich weder mit der
sixtinischen Madonna, noch mit der Venus von Milo zu
bemühen. Ich möchte ihr lebendiges Ideal kennen lernen.

Es ist ja nicht zeitgemäß für die Frauen unserer
Zeit, sich nackt sehen zu lassen. Die Ehemänner, welche
ich sprach, schwiegen meist. Denn wenn auch die
Gnädige dem Herzen nach ideal ist, so ist sie's meist
selbst ihrer eigenen unausgesprochenen Ansicht nach nicht hinsichtlich der Gestalt. Sonst gäbe es nicht Korsetts
und nicht Wattons, diese Mittel zur Verbesserung von Gottes bestem Werk. Die Gattin ist ja die bessere
Hälfte, der so mancher noch eine schönere Hälfte beifügen zu müssen glaubt. Von der spricht man aber nicht in
guter Gesellschaft.

Die Junggesellen erröten natürlich nur bei meiner Frage. Unsere Erfahrungen hinsichtlich der Erkenntnis
wie ein schönes Weib aussieht, beruhen also alle nicht auf selbständigem Sehen, oder doch auf einem solchen
von sehr bescheidenem Ilmfang, sondern auf Mitteilungen dritter. Und dies sind die Künstler.

Nun möchte ich für Böcklin und für andere Maler, denen es angeblich nicht gelingt, „Jdealgestalten"
zu schaffen, ein Recht gewahrt wissen, daß sie nämlich ein eigenes Frauenideal haben. Bei Böcklin ist die
Familienähnlichkeit aller seiner Frauen eine unverkennbare, vom Kopfe an bis zur Stellung der Beine. Und
zwar ist es zweifellos ein ganz wundervolles Weib, das ihm geradezu durch ihre Schönheit die Richtung im
Schaffen gab, deren Erscheinung ihn für alle Zeit gefesselt hielt.

Das Recht, eigenen Geschmack zu haben, erhielten sich die Menschen immer nur dort, wo sie etwas
von der Sache verstanden. Ob die Blonden oder Braunen schöner seien, darüber giebt's glücklicherweise keine
„ewigen" Kunstgesetze, das ist als unentscheidbar längst anerkannt. Die Nase mag verschiedenerlei Form haben,
und kann doch in jeder schön sein. Wir haben eben eine starke Naturerfahrung hinsichtlich der Gesichter; wir wissen
dort Reize in jedem Wangengrübchen zu finden; wir haben Verständnis und daher volle Freiheit in der
Würdigung eines Kopfes. Und wir erklären nicht den für einen Narren, der ein Gesicht schön findet, obgleich
es nicht das griechische Profil hat; wir begreifen, daß ein Verständiger sein Ideal in einem Weibe findet, das
anders aussieht, wie das Ideal, welches unsre eigenen Dampfnudeln bäckt.

Nun ist's das Vorrecht der Künstler, den ganzen Körper sehen und studieren zu dürfen. Wer auch
nur dilettierend ihnen in ihren Studien folgte, der erkennt bald eine neue Welt der Schönheit. Seht nur auf-
merksam auf dem Ball, im Konzerte das Stückchen Rücken über dem ausgeschnittenen Kleide jenes jungen
Mädchens: Mit jeder Kopsbewegung spielen die Dornen der Rückenwirbel unter der Haut, huschen kleine Be-
wegungen unter dem weißen Sammet hin. Das ist so schön wie das Grübchen in der Backe, da ist Freiheit des
Ausdrucks genug, um sich in ein solches Stück bewegter Haut mit Maleraugen — und auch sonst — zu verlieben.

Werrrsbrsndung- von Arnold Böcklin.

)m Besitze von IN. Grunelius in Aolbsheim.
 
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