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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Heilbut, Emil: G. F. Watts
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0090

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IX. Jahrgang. Heft A.

i. Dezember 1893.

Herausgegeben von Friedrich Recht -r-

„Die Kunst für Alle" erscheint in halbmonatlichen Heften von 2 Bogen reich illustrierten Textes und 4 Bilderbeilagen in Umschlag geheftet. Bezugspreis im
Buchhandel oder durch die Post (ReichspostverzeichniS Sir. 3661, baper, Verzeichnis Nr. 1671, k. u. k. österr. Zeitungsliste Nr. 42S) 3 M. 66 Pf. für das Vierteljahr
_ (6 Hefte): das einzelne Heft 75 Pf. __

G. F. IVattF.

von Dermal) Delferich.

c^ljch finde London in allen seinen Teilen interessant. Manchmal
ging ich in die Quartiere des Ostens . . . Die City machte
mir einen großen Eindruck. Und lieblich fand ich die unmittelbare
Umgebung der Stadt. Wie schön war es, des Morgens vom Lande
herein zu fahren! Frische Wiesen und erfreuliche Bäume sah man!
An den Stationen die frisch hergerichteten, durch die Ruhe des
Landlebens gestärkten Zahllosen in unfern Zug hereinspringend. Wir
alle in die Stadt; schon ist man aus dem Bereiche der üppigen
Fruchtbarkeit heraus. Häufiger sind die Stationen; Schornsteine an
Schornsteine jagen vorüber. In regelmäßigen Abständen häufiger
Plakate an den Seiten unseres Zuges; daß „Pears Soap" die
hübschesten Plakate hat, merken wir; „Colmans Mustard" taucht da-
zwischen auf. Wir atmen eben noch die letzten Reste der ländlichen
Morgenluft, dann fährt der Zug zwischen Mauern; und bald sind
wir in der City, und den Himmel sehen wir nicht mehr, die
Menschen sind geschäftig geworden, der Cylinder herrscht, die Hände
sind in den Taschen; das Immense der Geschäftigkeit aber, das wie
am Schnürchen Gehende aller Bewegung, die Regelmäßigkeit selbst
des Lärmes entschädigt für den abhanden gekommenen Eindruck der
Schönheit auf dem Lande. Aber es giebt noch eine Schönheit in
London selbst. Sie entschädigt für die Natur. Sie erfrischt aus sich heraus wie die Natur. Und wer nach
South Kensington, der nahen Vorstadt, hinausfährt, kann sie erreichen.

Da ist eine Art Straße, die von der Hauptstraße dort abzweigt. Eine Art Straße sage ich, nicht
Straße schlechtweg. Nein, eine solche Straße habe ich noch nie sonst gesehen! Es ist ganz merkwürdig, sobald
inan sie betreten hat, ist die Stadt vergessen. Und wer, nachdem er diese Straße betreten, so merkwürdig
beharrlich ist, noch zu glauben, daß er im Bereich von London sei, für den krümmt sich die Straße, so daß
man nach den ersten Schritten schon von der Gegend, aus der man gekommen war, nichts mehr sieht und
rings eingeschlossen ist von den schweigenden Häusern im Queen-Anne-Stil. Wißt ihr, was der Queen-Anne-
Stil ist? Das sind rote Häuser, aber wahrhaftig anders als der preußische Ziegelsteinstil — gemütliche Steine,
launenhafte Thüren und weite, große Fenster mit ganz, ganz kleinen Scheiben; das ist solch eine gemütliche,
zwar moderne, aber doch märchenartige, ich möchte sagen städtisch-märchenhafte Architektur für Leute, die nicht
den Zementstil lieben, wie man gar nichts dergleichen außerhalb des Landes, in dem man den alten Queen-
Anne-Stil zu neuem Dasein erweckte, wohl finden wird.

Als ich zuerst den Weg ansah, war mir zu Mute wie in Darmstadt, wo man das Gras zwischen
den Steinen wachsen hört, wo kein Mensch geht — höchstens ein Engländer, die Ähnlichkeit würde also eine
vollkommene gewesen sein-

Aber diese Empfindung ist doch nur durch den ersten flüchtigen Eindruck hervorgerufen; sie ist falsch.

G. F. Watts.

Auntz für Alle IX.

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