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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Heilbut, Emil: G. F. Watts
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0096

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<8, F. Watts.

70

1867 wurde Watts, ohne vorher als Kandidat aufgetreten zu sein, ja ganz ohne seine Kenntnis und
sein Einverständnis zum Associate und gleich darauf zum Mitglieds der Akademie gewählt, Ehren, die er
zuerst ablehnte, doch die er durch die ehrenhaftesten Erwägungen bewogen ward, anzunehmen. Im selben
Jahre schenkte er der Stadt Manchester den „Guten Samariter", ein Bild, das ihm durch die Güte des
Bürgers von Manchester, Thomas Wright, eingegeben war, dessen edle Anstrengungen das tiefe Interesse des
Künstlers erweckt hatten. Er wollte immer eine Verbindung zwischen der Kunst und anderen großen Anstrengungen
Herstellen. Der Kunstzweck heutzutage scheint nur Amüsement zu sein, aber mein Wunsch, sagt Watts, ist es,

so weit meine Kraft reicht,
die Menschen durch die Kunst
zu höheren Dingen anzuregen.
Seine Porträts großer Männer
sind ebenso gedacht, sind als
Gedenktafeln gedacht, zur Ehre
für die Männer nicht so sehr,
als dafür, daß sie, in die fernen
Quartiere versetzt, wo es an
Anregung mangelt, inBethual-
Green und anderer Orten, dem
armen Jungen, der nicht weiß,
wie schön die Tugend ist, eine
Fibel sind, in deren Bilöertext
er Geschichte und Anregung
empfängt, und lernt, für sein
Vaterland und seine großen
Männer Ehrfurcht zu haben
und schönem Beispiel nachzn-
lrachten. Der Stil von Watts'
Porträts kommt diesem Bedarf
entgegen: er ist hochidealistisch
und deutlich; er zeigt den In-
halt der Männer, er legt m
ihre Augen die Seelengüte, die
sie hatten, und eine geistige
Wärme spricht sich in ihrem
Ausdruck aus. Es ist wahr,
daß kein Porträtmaler objektiv
ist, es sei denn, daß er ist, wie
Holbein war oder van Eyck.
Dem Pomp und der Grazie
gegenüber, die die gefeiertsten
alten Porträtmaler hervor-
hoben, der Finesse gegenüber,
die in fast allen Lenbachschen
Porträts wallet, der Schönheit
des Tons gegenüber, die in
Velazquez und Whistler ist,
drückt sich in fast allen Watts-

Lirbr und Lrbrn. von G. F Watts.

schen Porträts Idealismus
und Herz aus.

Und wie wunderschön sind
daneben seine Porträts ganz
junger Mädchen! Da ist eine,
„Alice" genannt, sitzt an roter
Hinterwandmauer ihres Hauses
in den Garten hinausgewen-
det; ihre Backen wetteifern
mit der Farbe der Blumen,
ihre Augen sind klar wie das
Brunnenwasser. Ihre Seele
erwacht erst, noch ist sie wie
eine Blume. Niemand hat die
Unschuld so natürlich ideali-
siert.

Und „Miß Langtry", die
große gefeierte Schönheit, in
den vollen Akkorden gemalt
von Rot und Grün. Watts
ist ein Kenner der lebhaften
Farben und freudigster En-
lhusiast in ihrer Anwendung.
Ich kenne niemanden, der so
frisch wie er des natürlichen
Reichtums an Farbe sich freut.

Und dann die wunderbare
„Gräfin Somers". So englisch
wie möglich und folglich so
florentinisch wie möglich. Denn
das wird klar, wenn man in
Florenz ist, botticellische Typen
findet man unter den Italiener-
innen jetzt gar nicht, man fin-
det sie nur unter den Eng-
länderinnen, die, wie für eine
Wahlverwandtschaft inter-
essiert, in Florenz in den
Galerien ihre Altvordern
finden. Es muß merkwürdig

einer solchen Engländerin zu Mute werden, wenn sie, vor vier Jahrhunderten gemalt, von einer Italienerin ein
Konterfei findet, das ihrem eignen Anblick gleicht. Glauben sie an Seelenwanderung? Oder hat der Besuch Italiens,
den ihre Eltern, Großeltern, Pädagogen und Freunde Vornahmen, der Einfluß italienischer Kunstwerke so stark
gewirkt, daß der Gang, die Bewegungen, selbst die Form der Knochen davon influenziert wurden? Gewiß ist, daß
eine große Verwandtschaft besteht. Die Gräfin Somers hält die Mitte zwischen Botticelli und Leonardo; ich
kenne nichts von einem modernen Maler, das an Zartheit dies Bild übertrifft, noch was den Mysticismus be-
trifft, einen Mystiker unter den Malern heute, der nur das übersetzt, wozu das Modell die Anregung giebt.

Die Jünglinge und Jungfrauen voll Holdseligkeit und voll Zartheit aus Wattsschen Märchenbildern,
diese Jünglinge im Harnisch, die so wundervoll gemalt sind und bei denen doch die Schönheit des Kopfes den
Glanz überflügelt, die Mädchen voll Adel, Männer voll Poesie und Gedanken, — und voll Güte, — werden dem,
 
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