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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Fischbach, Friedrich: Die Kunst im Hause
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0107

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Die Kunst im Hause.

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mit oder ohne Kunst, ist Parole dieser
Modemacher. — Tie Schattenseiten des
Marktes muhten berührt werden, um den
Wirrwar zu kennzeichnen, der heute herrscht.
Wir verfügen in Museen und Publikationen
über die ganze Erbschaft der alten Zeit.
Wir haben Arbeitslehrerinnen, welche die
Technik des Mittelalters, die des Orientes
und Ostasiens studieren und lehren. Wo
fehlt es? An dem Überblick, wie die
Arbeitsteilung sein soll und an der
Geschmacksbildnng oder besser ge-
sagt, am Knnststudium im allge-
meinen. Was die Arbeitstellung an-
betrifft, so muß heule jede Stickerei mit der
Maschmen-Konkurrenz rechnen. Bekanntlich
werden beule mehr Stickereien auf den
Kleidern getragen, wie je früher. Das
ermöglicht die von Josua Heilmann 1849
erfundene und von Fr. Elisiius Niltme>)er
1850 verbesserte Stickmaschine. Es ist
ihöricht, mit dieser zu konkurrieren, denn die
Arbeitsleistung einer geübten Stickerin erreicht
kaum in einem Jahre, was die Maschine
an einem Tage liefert. Wer heute die
Bibel durch Abschreiben verbreiten will, ist
ein Narr. Ebenso närrisch ist, das zu
sticken, was die Maschine ebenso gut arbeitet.
Schreiben wir trotz Gutenberg heule mehr, ^
wie früher unsere Vorjahren, so wird trotz
Heilmann auch mehr gestickt, denn es er-
öffnen sich immer neue Bahnen durch
größeren Bedars und durch die Vereinigung
jeglicher Technik. Ein glänzendes Beispiel
möge zur allgemeinen Beachtung angeführt
werden. Mit der Ketlenstichmaschine werden
bekanntlich weiße und farbige Fenstervor-
hänge, ferner Decken und Kleider gestickt. Ich
veranlaßle die Hofkunststickerin Frau Elffe
Bender diese Maschinen anzuschafsen und
ihre wunderbaren Handarbeiten mit dieser
sogenannten Crochettechmk zu verbinden.
Seit einigen Jahren besitzt diese geniale
Dame eins der großartigsten Dekorations-
geschäste in Berlin. Die Crochellechnik
eignet sich auch zur Gobelinstickerei, denn
sie erreicht in solidester Weise die Wirkung
der Bildstickerei. Nebenbei bemerkt, ist der
Ausdruck „Gobelinweberei" falsch. Erstens
hat Gobelin die Technik nicht erfunden, die
bekanntlich fast die einzige Art der vor-
christlichen Textilmusterung sowohl in Peru
wie in Ägypten war, und zweitens darf
von Weberei keine Rede sein, wenn die
Kette nur durchflochten wird und das
Weberschiffchen wegfällt. Bei den Ketlen-
stichbildern ist die Prozedur viel einfacher.
Hat man die geeignete Vorlage auf den
Stoff konluriert und sämtliche Farben
zur Verfügung, so gehört nur körperliche
Kraft und Farbensinn dazu, Bilder zu
sticken, die mit den besten Mosaik- und
Freskengemälden wetteifern. Die Stickerin
muß freilich so viele Übung und künstlerische
Bildung haben, daß sie den Stoff so schiebt,
daß die reinen edlen Konturen der Vorlage
nicht verhunzt werden. Ta faktisch solche
Bilder bereits ausgesührt wurden, so darf
man dieses neue Gebiet bestens empfehlen.
Es ist also notwendig, daß die Damen
studieren, was die Maschinen leisten, um
die unfiuchtbare Konkurrenz zu vermeiden.
In meinem Textilmuseum im Wiesbadener
Rathause sind nicht nur die alten Textil-
schätze, sondern auch diese neuen ausgestellt,
da diese sür die Stickerinnen ganz besonderes
Interesse haben. Wenn man erfährt, daß
die Stickmaschine mit ihren zwei- bis drei-
hundert eisernen Fingern jegliche Technik

der Handstickerei (außer der des Überfang-
stiches) erreicht, daß intelligente Fabrikanten
unausgesetzt neue Muster suchen, welche
jeden Effekt der Handstickerei nachahmen,
so leuchtet ein, daß die Arbeitsteilung eine
andere wie vor Jahrzehnten sein muß.
Über eine halbe Million Stickereimuster
wirft die Ostschweiz bei einem Umsatz von
zirka 100 Millionen Franken jährlich auf
den Markt. Was bleibt da für die Kunst
im Hause übrig? Zunächst die richtige Er-
gänzung der Maschtnenmare. Dazu gehört
aber Geschmack, oder besser gesagt: ästhetischer
Sinn.

(Ter Schluß im nächsten Hefte.)

Vle farbige Mcin-Plasttk im Virilste
der Limmcrscljmürkung.

von Gtto Schulze (Aöln).

Die lieben Leser wollen nicht erschrecken
beim Wahrnehmen der Überschrift. — Ich
will nicht die Streitfrage von 1885 auf-
wärmen, die Professor Or. G. Treu-Dresden
in der bündigen Form stellte: „Sollen wir
unsre Statuen bemalen oder nicht?" Mit
deren Beantwortung wollen wir uns nicht
beschäftigen, da die große Plastik zur Zimmer-
schniückung in keinerlei Beziehung steht. Eine
lebensgroße weiße Büste, ob aus Marmor
oder Gips, ist schon ein gefährlicher Stören-
fried, und als „farbig" wäre dieselbe im
Zimmer überhaupt undenkbar — mir er-
schiene sie als einem Panoptikum entsprungen.
Aber für die farbige Klein-Plastik (Bildnerei)
ist das Zimmer als solches der eigentliche
Raum herzerquickender Beschaulichkeit.

Alle Stil-Epochen haben die figürliche
Klein-Plastik als Zimmerschmuck geschätzt
und bevorzugt, gleich, ob dieselbe als ein-
zelner Ausbau, als krönender Teil oder als
ein von allem übrigen losgelöstes Stück
hervortrat.

Das römische Haus kennt bei großer
räumlicher Ausdehnung neben seinen Wand-
fresken , seinem farbigem Fußbodenbelag
und spärlichem Gerät, in erster Linie den
plastischen Schmuck freistehender oder in
Nischen untergebrachter Statuen, Büsten und
Gruppen aus Marmor und Bronze. Und
so geht es weiter über farbige Holzskulptur,
Bronzen, Marmor-, Alabaster- und Speck-
steinschnitzereien, farbige Thon- und Majolika-
reliefs bis ins 18. Jahrhundert, in welchem
besonders die farbige Klein-Plastik in den
überaus reizenden, koketten und neckischen
Porzellanfigürchen von Meißen, Berlin,
Höchst, Nymphenburg u. s. w. ihre höchsten
Triumphe feierte und überall ihren siegesfroh-
übermütigen Einzug hielt.

Heute liegen die Dinge wesentlich anders.
In demselben Maße, als auf Ausstellungen
die Malerei stets fühlbar überwiegend ist
und die Plastik in Modellen, Marmor und
Bronze kaum Vz Prozent der Gesamtzahl
der Kunstwerke ausmacht — die Klein-
Plastik geht völlig darin verloren — nimmt
auch die Plastik in der Wohnungsschmückung
einen bescheiden stiefmütterlichen Platz ein.

Das Bild und wieder das Bild in den
verschiedensten technischen Lösungen ist der
Hahn im Korbe, und dahinter tritt das
Körperliche als nichtdaseinsberechtigt zurück-
Ja, aber weshalb! Es liegt doch wohl nur
daran, daß für körperliche Abmessungen, wie
überhaupt für plastische Dekoration ein zu
geringes Verständnis bei Laien obwaltet.
Mit plastischen Objekten im Zimmer zu

operieren erscheint den meisten zu gefährlich
und doch giebt eigentlich erst der Körper im
Raum und der Fläche gegenüber Anhalts-
punkte für schöne Raumverhältnisse und
Massenverteilung. Der wundeste Punkt da-
bei ist die Wahl des Gegenstandes und seine
vorteilhafteste ^Aufstellung.

Ein jeder weiß, daß das Bild die Wand
ausschließlich als seine Domaine betrachtet;
ein jeder körperliche Gegenstand, also eine
Büste, Figur oder Gruppe fordert eine be-
sondere Ümgebung, Anschluß- und Stütz-
punkte — und trotzdem lausen sie nie oder
selten Gefahr, durch die Nachbarschaft unter-
drückt zu werden.

Man sollte es aber mit dem plastischen
Schmuck doch einmal versuchen, sei auch der
Anfang bescheiden. Eine einzelne Figur
oder einfache, wenig bewegte Gruppe — bei
der Plastik ist die Festhaltung großer Er-
regung, Leidenschaft und gewaltsame Be-
wegung der Masse durchaus verwerflich — und
die Wirkung wird eine vortreffliche sein durch
die überzeugende Steigerung in der gegen-
sätzlichen Berührung zwischen Körper und
Fläche. Was nun die Farbengebung an-
geht, so genügen oft schon die neutralen
Materialfarben der Bronzen, Terrakotten
und ungetönten Porzellane. Ein Schritt
weiter sührt zu den farbigin Bronzen, farbigen
Stein-Galvanos und den auch heute noch
unübertroffenen farbigen Porzellanbildwerken
und leicht durch Lasurfarben getönten Mar-
morskulpluren.

Nie sollte der Klein-Plastik die Farbe
fehlen, sei sie auch bei Engherzigkeit noch so
unausgesprochen und zweifelhaft. Farbe
stört hier äußerst selten, weiß wirkt brutal,
es kältet und drängt sich protzig vor. Schon
Elfenbeinmasse verdient den Vorzug dem
Marmor und Gips gegenüber — sei der
l Marmor ein noch so edles Material, inner-
halb des Zimmers wirkt er in seiner Weiße
hart.

Auf der andern Seite sei natürlich auch
die krasse Buntheit der Heiligenfabriken aus-
geschlossen, sie ist zu bäuerisch und spielzeug-
mäßig. Auch warne ich vor den Mißgeburten
figürlicher Kompositionen im Arabergenre
und Negernimbus, sie sind alle über einen
Leisten geschlagen und haben die Auffällig-
keit der rollenden weißen Augäpfel und auf-
geworfenen roten Lippen bei schaubudeu-
mäßigem Gepränge.

Seien es auch oft nur gute Imitationen
bezw. kleine Kopien guter Bildwerke alter
und neuer Zeit — Verkleinerungen von ge-
waltigen Denkmalen sind auszuschließen,
Hans und Hänschen sind zwei verschiedene
Personen — immerhin wird die Klein-Plastik
ihren Platz mit Ehren füllnr und wo die
Mittel ein Mehr gestatten, werden sich auch
die Wünsche steigern und die Zimmer-
schmückung vor der Verflachung retten.

Kabinettstücke stelle man so, daß sie, ohne
in die Hände genommen werden zu müssen,
gut gesehen werden können. Bei schwarzen,
weißen und goldenen Konsolen und Sockeln
sei man feinfühlend und drapiere etwas mit
sich unterordnendem Sammet oder Seide in
nicht zu stumpfen Farben. Auch fächerartige
Hintergründe aus farbigen Stoffen sind oft
treffliche Vermittler zwischen der farbigen
Klein-Plastik und ihrer nächsten Umgebung.
 
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