Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

DOI Artikel:
Woermann, Karl: Raphaels Sixtinische Madonna, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0135

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Von Karl tvoermailil. lOl

Einen zweiten Irrtum haben fast alle bisherige Stecher des Bildes verewigt. Vermutlich hat jeder
von ihnen sich in dieser Beziehung ans seinen Vorgänger verlassen. Sie lassen einen schweren dunklen Mantel
vom Rücken der heiligen Barbara nach dem rechten Rande des Bildes hinüberwallen. Wäre dieser Mantel
da, so schwebte er haltlos neben der Heiligen, deren feuergelber rechter Oberärmel, der doch von ihm bedeckt
sein müßte, deutlich hervortritt. Die heilige Barbara trägt in der That kein anderes Kleidungsstück als die
bereits geschilderten. Das grüne Shawltuch vertritt die Stelle des Mantels. In dem tiefen Schatten
hinter ihrem Rücken ist aller-
dings nicht alles klar; und
angesehene Maler sprachen
angesichts des Bildes ver-
schiedene Ansichten über die
Haltung ihres unsichtbaren
rechten Armes aus. Die
einen glaubten einen Finger
der rechten Hand über ihrer
rechten Schulter hervor-
leuchteu zu sehen. Die
anderen meinten den rechten
Arm nach rückwärts hinab-
gestreckt, zu erblicken. Aber
darüber waren sich bei ge-
nauer Besichtigung alle einig,
daß ein besonderer Mantel
hier nicht zu erkennen ist
und daß der obere Umriß
der Dunkelheit hinter dem
Rücken der Heiligen über-
haupt nicht zu einem Klei-
dungsstück gehört, wie die
meisten Stiche es vermuten
lassen, sondern zu einem
braunen Schlagschatten, der
hier, schwer im Ton, aber
weich verschwimmend im
Umriß, an dem Turme der
Heiligen entlangfällt. Mau
kann sich hiervon bei ge-
nauer Betrachtung schon vor
derBrannschenPhotographie
überzeugen. Der obere Um-
riß ist viel zu weich, um
einem Kleidungsstücke ange-
hören zu können. Ter Vor-
hang berührt an dieser Seite
die Kleidung der Heiligen
gar nicht. Auch ein dritter
Irrtum scheint weniger ein
Auffassungs-, als ein Beob-
achtungsfehler zu sein. Seit

Rumohr in seinen „Italienischen Forschungen" (Berlin 1827, II. S. 316—317) die Ansicht ausgesprochen,
daß, wie der hl. Papst durch seine Geberde die Gemeinde, in die er hinausdeutet, der Madonna empfiehlt,
deren Blicke er ans sie herabzuziehen sucht, so, umgekehrt, die hl. Barbara dem Volke durch die Richtung ihres
Blickes die Verehrung der Madonna empfehle, ist dieser Gedanke von anderen Schriftstellern wiederholt und
weitergesponnen worden. In Wahrheit aber schweift der tief gesenkte Blick der Heiligen gar nicht zur Gemeinde
hinaus, sondern bleibt in demütig inniger Verzückung an ihr selber haften. Daß auch sie zu keinem anderen
Zwecke auf dem Bilde angebracht ist, als zwischen den gläubigen Verehrern und der Madonna zu vermitteln,
ist freilich selbstverständlich. Es ist das ja der Zweck, zu dem die Heiligen bei allen „Heiligen Unterhaltungen"

^ . l. Ä


--MAE V

- : . 7. >

M N


V


Aus L. Knaus' Skizrenbuch.
 
Annotationen