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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Herbert, Wilhelm: Künstlers Weihnachten: Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0137

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Sumpf im Walde, von Nicolas Diaz.

der am wenigsten zufrieden ist? Wie abscheulich! Geben
Sie nur mal her: Ich werde diese kleine allerliebste
Brieftasche an Herrn Lieutenant von Grieben vertauschen,
der sich hoch entzückt mit einer Vase abfand, auf die
ich nur zwei winzige Blättchen gemalt habe, während
ich hieher fast für fünf Mark Seide verstickte! Ja, ja,
für fünf Mark! Schauen Sie mich nur groß an: Glauben
Sie, das hat keinen Riß in mein Nadelgeld gegeben?
Und erst die Arbeit: Mindestens hätte ich einen anderen
Kopf dafür verdient wie diese mürrische, unhöfliche
Miene, die Sie der Haustochter ganz offen ins Gesicht
machen! Tie übrigen, die sich mehr und besseres erwartet
haben, nehmen wenigstens hier noch Zucker in den Mund
und lächeln und nicken mir zu wie freundliche, frisch-
gewaschene Porzellanpagoden — aber Sie — der echte
deutsche Brummbär! Was haben Sie denn wieder?"

„Ach!" Der blonde Riese reckte sich auf und stöhnte,
daß in der Nähe ein paar junge Damen kichernd zu
ihm hinübersahen. „Was ich habe, gnädiges Fräulein?
Sie wissen es ja! Ich bin so zerfallen mit der ganzen
Welt, daß ich wollte, ich könnte sie in tausend Stücke
schlagen — bis auf das Fleckchen natürlich, wo Sie
weilen!"

„So, so!" meinte das Mädchen spöttisch. „Und
Sie glauben, mir wäre dabei behaglich, so mitten im
weiten Weltraum ganz allein noch auf diesem Stückchen
Parquet dazustehen und alle Augenblicke fürchten zu
müssen, daß ich in den unendlichen Abgrund hinunter-
stürzte?"

„Sehen Sie", sagte der junge Künstler bitter, „so
ist mir! Jetzt noch und jetzt noch halte ich mich —

aber in der nächsten Minute vielleicht schon reißt cs
mich hinunter! Ich habe keine Schaffenslust, ich habe
keine Phantasie, ich habe kein Wissen und kein Können
und kein Wollen mehr — alles ist fort!"

„Das heißt mit einem Worte", sagte Olga, „Sie
sind verbummelt! Ja, ja! Sie sind verbummelt! Ihr
herrliches, wunderbares, originelles Talent haben Sie
so lange rasten und rosten lassen, daß es jetzt ganz ver-
gessen in der Tiefe Ihrer Seele in irgend einem Winkel
kauert! Denken Sie nur: Was haben Sie Heuer ge-
leistet? Ich habe es mit Zorn und mit Scham für
Sie selber gesehen: Gar nichts! Die anderen, wie
ihrer heute ein Dutzend in diesem Saale sind, haben
vorwärts gestrebt, sie haben mit ihrem kleineren Können
in der Ausstellung hübsche, talentvolle, fleißige Sachen
gezeigt — und Sie? Ich bitte Sie: diese „Dame
von rückwärts" — ihr einziges Bild dort — hat mir
ganz und gar nicht gefallen! Es war mir gerade,
als wenn ich das Gemälde umdrehen und fragen müßte:
„Wer bist du denn eigentlich von vorne? Laß dich doch
mal ansehen, ob du auf der andern Seite was Rechtes
bist — so von rückwärts schaust du ja gerade aus, als
hätte der Künstler zwar etwas Ganzes gewollt, aber
nicht zustande gebracht!"

Einen Augenblick zuckte es bitter um die Mund-
winkel des Malers.

„Und wissen Sie, wie die Dame von vorne aus-
sehen würde?" srug er und griff dabei in seine Brust-
tasche, aus welcher er ein kleines Etuis holte. „So!"
Dabei nahm er ein Bildchen aus dem Etuis und reichte
es ihr.
 
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