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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Woermann, Karl: Raphaels Sixtinische Madonna, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0156

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Raphaels Sixtinische Madonna.


jahre des Meisters versetzt, schon nach Vasari ebenfalls auf Leinwand gemalt war. Endlich machte er als
Hauptgrund geltend, daß Raphael in seinen letzten Jahren am wenigsten für die Mönche des ihm unbekannten
Piacenza ein Bild eigenhändig ausgeführt haben würde, wogegen sich einwenden ließe, daß ihn gerade seine
neue visionäre Fassung des Gegenstandes gereizt haben könnte, noch einmal selbst den Pinsel zu führen, und
daß gerade die Schnelligkeit, mit der das Bild offenbar ausgeführt worden, auf seine Entstehung in einer Zeit,
da Raphael vielfach in Anspruch genommen gewesen, schließen lassen könnte. Wie dem auch sei, als zwingend

können wir alle Gründe Springers, die Madonna bis 1515 hinaufzurücken,
nicht anerkennen. Daher wundert es uns denn auch nicht, das Herman
Grimm neuerdings in seinem „Leben Raphaels" (S. 429) wieder mit Ent-
schiedenheit ein neues Jahr, das Jahr 1517, als Emstehungsjahr des Bildes
nennt. Warum gerade 1517? Grimm verspricht die Gründe an anderer
Stelle anzugeben. Jedenfalls ist das Jahr 1517 nicht unwahrscheinlicher
als eins der anderen.

Alle diese Meinungsverschiedenheiten begreift man, wenn man bedenkt,
daß heutzutage niemand für einen richtigen Gelehrten angesehen wird, der
seinen Geist und seine „Methode" nicht in der Begründung einiger Hypo-
thesen bewiesen hat. Vielleicht ist der Wissenschaft aber noch mehr damit
gedient, wenn man sich begnügt, das Ungewisse als ungewiß hinzustellen;
und so möge uns denn auch genügen, mit Sicherheit behaupten zu können,
daß die sixlinische Madonna zwischen 1515 und 1519 entstanden ist.

Lediglich als Vermutung ist auch der Einfall Crowe und Cavalcaselles
(in ihrem lüts anck HLorUs ob R.ux>1>ae1 p. 373) zu schätzen, daß Antonio
de' Monti, der den Titel eines Kardinals von San Sisto führte, der Ver-
mittler zwischen den Mönchen von San Sisto und Raphael gewesen sei.
Da aber die Bekanntschaft Montis mit Raphael feststeht und es naheliegt,
daß die Benediktiner von Piacenza sich der Fürsprache des Kardinals
erfreuen durften, der den Titel ihres Schutzheiligen trug, so läßt sich nicht
leugnen, daß diese Vermutung ansprechend ist.

Den erwiesenen Thatsachen gegenüber, daß Raphaels Bild für die
Kirche San Sisto in Piacenza gemalt und daß das Dresdner Bild aus
eben dieser Kirche geholt worden, sollte man es übrigens von vorn-
herein für unmöglich halten, daß es, wie andere Bilder, Nebenbuhler haben könnte, die ihm die Echtheit oder
die Alleingültigkeit streitig machten; denn daß Raphael eine eigenhändige Wiederholung seines Bildes gemalt
haben sollte, wird jeder Kenner der Geschichte des Meisters und seines Schaffens für ausgeschlossen halten.
Von den bekannten älteren Kopien des Bildes hat das schwache Machwerk der Kirche San Severino zu Neapel
auch niemals einen Anspruch irgendwelcher Art erhoben, wogegen die Kopie, die aus der Benediktinerinnen-
Abtei des hl. Amandus in Rouen ins Museum dieser Stadt übergegangen
ist — sie verwandelt den hl. Papst Sixtus in den hl. Bischof Amandus,
indem sie die päpstliche Tiara vorn auf der Brüstung durch die bischöfliche
Mitra ersetzt —, in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts, zumal sie
auf Holz gemalt ist. ziemlich viel von sich reden machte. Auf ihren An-
spruch, für mindestens ebenso echt zu gelten wie das Dresdener Bild, ist
aber kein Raphaelkenner, der sie gesehen, eingegangen; auch der französischen
Kunstforschung fällt es nicht ein, ihn aufrecht zu erhalten. Das Rouener
Bild ist offenkundig eine alte Kopie. — Endlich ging vor einigen Jahren
die Nachricht durch alle Blätter, daß eine zweite sixtinische Madonna im
Besitze einer angesehenen Gasthofsbesitzersfamilie in St. Moritz in der
Schweiz anfgetaucht sei. Ich habe das 1887 durch Sesar in Augsburg
restaurierte Bild, das in St. Moritz jetzt irrtümlicher Weise als Himmel-
fahrt Marias gedeutet wird, nicht selbst gesehen. Doch hatte Herr Caspar
Badrutt in St. Moritz die Güte, mir nicht nur eine Photographie des
Bildes vor seiner Restaurierung, sondern auch eine treffliche Braunsche
Photographie zu übersenden, die nach seiner Herstellung ausgenommen
worden. Auch die besten Photographien reichen selten oder niemals aus,
sich im bejahenden Sinne ein abschließendes Urteil über die Echtheit eines
Gemäldes zu bilden; ein verneinendes Urteil zu gewinnen, aber genügen
gute Photographien dem Kenner natürlich in vielen Fällen; und man braucht

Kopie der Sixtinischen Madonna
des Raphael.

Der heil. Michael.

von Raphael. (Nationalmuseum des Louvre
in Paris.)
 
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