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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Schultze-Naumburg, Paul: Karlsruher Kunstleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0178

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Karlsruher Ruiistleben, von j). ^chu ltze-Na u m b u r g.

^Z6

und ihn mit deui stattlicheren „Akademie" vertauscht.
Gewichtiger aber sind die inneren Reformen. Nachdem
man lange in der Ferne gesucht, hat man endlich das
Gute im Lande gefunden und den Professor Carlos
Grethe, der schon früher einmal als provisorischer Leiter
der Stilleben- und Landschastsklasse fungierte, als ordent-
lichen Lehrer angestellt. Und eine bessere Vertretung
hätte man wohl auch auswärts schwerlich finden können,
denn Grethe vereinigt ja gerade das, was für die Vor-
bereitung der Landschafter not thut: große Frische
und Unmittelbarkeit des Empfindens mit gediegenem
koloristischen und zeichnerischen Können, ohne zu sehr
subjektiver Künstler zu sein, um seine Schüler zu einer
manierierten Naturanschauung zu führen. Auch mit
Pötz elbergers Berufung hat die Schule eine wohl fast
ungeahnt gute Acquisition gemacht, da dieser, von allem
schädlichen Manierismus so freie Maler es weiß, worauf
cs bei der künstlerischen Erziehung ankommt, was gerade
nicht von allen Lehrern in Deutschland behauptet werden
kann — ganz abgesehen davon, wie wichtig cs für die
Künstlerschast ist, durch Heranziehung ausgeprägter Indi-
vidualitäten frisches Blut in sonst leicht stagnierende Ver-
hältnisse der vom Hauptstrom fernliegenden Kolonie zu
bringen. Ähnlichem Bedürfnis war wohl auch die da-
malige Berufung Klaus Meyers zuzuschreiben: wieder
mal einen neuen berühmten Namen den alten hinzuzu-
sügen, der für Genremaler einen Anziehungspunkt bilden
könnte, denn die Figurenmalerei war stets — trotz
Keller und Hoff — etwas stiefmütterlich behandelt worden
und der neue Ruhm der Schule geht von den Land-
schaftern aus.

Propheten gelten nicht viel im Vaterlande. Die
vorzügliche Lehrkraft eines Kallmorgcn hat man sich bis
jetzt auch nur von privater Seite zu nutze zu machen
gewußt. Von Kallmorgen gilt ähnliches wie von Grethe;
ist letzterer vielleicht phantasievoller, hinreißender, wuch-
tiger, so schließt sich jener wohl noch enger an die Natur
an, noch liebevoller, intimer; dabei von einer vollendeten
Beherrschung des Handwerks, was man in Deutsch-
land, ebensoviel weniger, als im Ausland, antrifft,
als anstrebt. — Um sich die Jntenfivität des Studiums
zu erleichtern, fitzt denn auch Kallmorgen bei jeder
Witterung, die das Malen im Freien erlaubt — und
manchmal auch nicht erlaubt — mitten in seinen Motiven,
den flachen Thälern, bewaldeten Hügeln und wiesen-
umrandeten Feldern des badischen Schwarzwald-Vorlandes,
wo denn auch in Grötzingen, dem Wohnsitze derNeu-
Karlsruher Malerkolonie, seine Villa steht. In diesem
stillen Winkel, kaum eine Meile von der Hauptstadt ent-
fernt, und doch schon so idyllisch und fast weltabgeschieden
anmutend, entwickelt sich eine überzeugungsstarke, durch-
aus eigenartige Richtung, die nicht den schlechtesten Teil
Karlsruher Malerei bildet. Es ist überhaupt ein
Charakteristikum modernen Künstlergepräges, nicht mehr
so wie früher nach möglichst großen Vereinigungen von
Zünftlern zu streben, sondern eher auszuscheiden aus
dem lauten, mißtönenden Getriebe des Stadtlebens, die
Einsamkeit aufzusuchen und im stilleren, freieren, unge-
trübteren Verkehr mit Mutter Natur und deren noch
nicht verbildeten Geschöpfen ihre Ideale reiner zu be-
wahren oder zu läutern. Leibl, Böcklin und Thoma sind
auf diese Weise geworden, was sie sind, und der Zug
der Zeit kann nur ein gutes Omen für die Zukunft sein.

Der interessanteste Repräsentant der Grötzinger ist Gustav
Kamp mann, dem sich Franz Hein und im Sommer
noch manche andere anreihen. Kampmann ist reiner
Landschafter und als dieser wieder reiner Stimmungs-
maler. In breiten, farbensatten Tönen, deren Schönheit
oft mit der der Schotten zu vergleiche» ist — ein
neuerdings häufig herangezogenes und oft mißbrauchtes
Schlagwort, welches übrigens in diesem Falle zutrifft,
wo auch nur von gleichzeitig auftauchenden Bestrebungen
und nicht von Nachahmung die Rede ist —- giebt er
schlichte, intime Motive aus der Umgebung seines Wohn-
sitzes, den Hauptaccent stets auf den koloristischen Ge-
samteindruck legend. Die Zeichnung kommt da wohl erst
in zweiter Linie und tritt gänzlich in den Hintergrund,
da das Leitmotiv stets nur die Farbe bildet.

Zu den Grötzingern gesellte sich in neuerer Zeit
Carl Heinrich Hoff, der Sohn des bekannten Historien-
malers Carl Hoff, der sich in unmittelbarer Nähe, in
Berghausen, ein behagliches Heim schuf. Einige Meilen
südlicher, an demselben Bergzug, liegt auch das Haus
des Malers Carl Stockmeyer, das auf lustiger Höhe
am Rande tiefer Wälder weithinein ins Land schaut.
Und noch tiefer im Schwarzwald kann man leicht auf
noch manches Künstlerheim stoßen, wie das des Malers
Robert Geiger in Lantenbach, von Franz Grässel in
Obersasbach oder in Gutach bei Hascmann.

Zurück zu den älteren Karlsruhern. Da fesselt
einen wieder vor allein die blendende Erscheinung
Ferdinand Kellers, dessen neueste Arbeiten, die Entwürfe
für riesenhafte Freskogemälde im Stuttgarter Museum,
besonders dazu angethan sind, das wahrhaft verblüffende
dekorative Talent dieses Meisters im hellsten Lichte zu
zeigen. Es sind Darstellungen bedeutender Personen aus
der württembergischen Geschichte, nach dem Mittelalter
und der neueren Zeit in zwei Gruppen gesondert, denen
allegorische Figuren zugescllt sind. Eine Fülle von fast
hundert Gestalten, die in klarer Massenverteilung, jedoch
ohne akademischen Zwang aufgebaut sind; die weniger
nach scharfer Charakterisierung streben, sondern vor allem
ihren Hauptzweck erfüllen: zu schmücken, den Glanz der
Schönheit zu verbreiten; Gestalten, die sich in echt
Kellerscher Farben- und Formenfreudigkeit gehen lassen
und die himmelhohe Überlegenheit des badischen Meisters
im Vergleich mit ähnlichen dekorativen Talenten aufs
neue beweisen.

Auch Kanoldt ist seinen Intentionen treu geblieben,
was zwei Landschaften im Charakter der felsigen Riviera-
küste, die sich augenblicklich aus der Staffelei befinden,
zeigen. Schönleber, der das vergangene Jahr in
Italien zubrachte und mit riesigem Material heimgekehrt
ist, veranstaltete neulich im Kunstverein eine Kollektiv-
Ausstellung, die jedoch nur einen Teil dieser Ernte um-
faßte. Auch Baisch ist gleich Kallmorgen wieder ein-
mal zu seinem alten Studienplätze zurückgekehrt und
arbeitet an einigen holländischen Landschaften mit Vieh-
staffage. Klaus Meyer hat ein Bild begonnen, besten
Anmut schon in der Anlage ausgedrückt ist, und zwar
in der in neuerer Zeit häufiger angewendeten Dreiteilung,
was bei dem großen Reize, der in dieser Anordnung
liegt, nicht Wunder nehmen darf. Es behandelt eine
Idylle aus einer vlämischcn Stadt in der guten alten
Zeit: zwei Nachbarskinder, ans dem rechten Flügel er,
wie er am offenen Fenster seinem Schatz ein Ständchen
 
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