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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Die Elite-Ausstellung der Berliner Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0181

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Die Elite-Ausstellung der Berliner Akademie.

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Gefühlen habe ich übrigens auch Siemiradzkis ganz
neues Bild, „Das Urteil des Paris", betrachten müssen. Der
Präsident der Akademie, Becker, hat ein neues 93er
Bild eingeschickt. Da wir uns in dieser Ausstellung
gewissermaßen als Gäste des jovialen Akademiepräsidenten
betrachten müssen, so wollen wir vor seinem diesjährigen
„Othello und Desdemona" in höflichem Schweigen vor-
übergehen und auch nicht das kleinste Tadelswörtchen
laut werden lassen. Anton von Werner hat das
bekannte stimmungsvolle Bild: „König Wilhelm am Grabe
seiner Eltern den 19. Juli 1890" — ausgestellt. Sein
Münchener Kollege Ludwig vonLoefftz schickte die
dunkle Pieta der Pinakothek. Wiederum ist mir die
Teilnahmlosigkeit der vermummten Maria ausgefallen,
die wie ein bezahltes Klageweib zu Füßen des Leichnams
Christi kauert. Bon Ernst Hildebrand ist das lebens-
wahre Porträt der Frau Fritz Gurlitt da. Paul
Meyerheims „Unterwegs" (städtische Touristen auf
schmalem Bergwege einer Viehherde begegnend) hat viel
sehr schönes Detail, stößt aber wieder durch die gesuchten
Witzeleien ab. Das ist berlinisch. Aber in der Kunst
sollte die geschätzteste Eigenschaft des Berliners keinen
Raum haben. Von den alten Berlinern will ich nur
noch unfern besten hiesigen, Adolf Menzel erwähnen.
Er hat ein Ölbild (die Prager Synagoge) und zwei
Zeichnungen ausgestellt, eine Gouache, die Kissinger
Brunnenpromenade, und die schöne Tuschzeichnung Chronos
aus dem Besitze des Fürsten Bismarck. Das junge
Berlin, soweit es radikale Tendenzen hat, darf man in
einer akademischen Ausstellung nicht suchen. Und doch
sind zwei darunter: Skarbina, der die Karlsbader alte
Wiese ausgestellt hat, wie cs scheint, dasselbe jetzt etwas
überarbeitete Bild, das uns vor zwei Jahren auf unserer
großen Ausstellung so erfreute. Und als zweiter Hugo
Vogel, einst eine Hoffnung und Stütze des neuen Mal-
kurses, der aber leider immer mehr in die akademische
Würde hineinwächst. Das neue Bild, ein Kirchenlied,
ist wieder ein Beispiel der besondern Abart Berliner
Freilichtmalerei, die schon konventionell erstarrt ist und
hierzulande leider immer mehr Nachahmung findet. Daß
auch auf dieser Ausstellung das Beste wieder von außer-
halb uns zugeschickt wurde, bedarf kaum der besonderen
Erwähnung. Herkomers großes Bild der letzten
Münchener Ausstellung, die Magistratssitzung in Lands-
berg, ist das Hauptstück in der ganzen Akademie und
findet auch allenthalben die ihm gebührende Anerkennung.
Von englischen Bildern ist noch ein Herrnporträt von
Ouleß hervorzuheben. Ein außerordentlich lebendiger
Kopf eines älteren Herrn in etwas gewagter Morgen-
toilette: schwarzen Sammtrock und rote Kravatte, aber
trotzdem eine überaus vornehme Erscheinung und voll
der sicheren Kraft, die den hochstehenden Engländer so
auszeichnet. Fr. Leightons„Atalanta" ist ein anmutiger
sehr dünn gemalter Studienkopf. Alma Tademas
berühmtes Bild, „Heiligtum der Venus", zeigt alle die
geschätzten Vorzüge des feinsinnigen Antiquitätenmalers.
Nur ein französisches Bild ist mir ausgefallen: Dagnan-
Bouverets Bildnis einer Dame mit einem Knaben
auf dem Schoß, in gelblicher Lampenbeleuchtung und
auch bei Licht gemalt. Passini ist wohl den Italienern
zuzuzählen. Das ausgestellte neue Aquarell, Sommer
in Venedig, zeigt badende Straßenjungen am und im
Kanal. Ich habe schon Besseres gesehen.

Das übrige Deutschland ist eigentlich besser vertreten
als die Hauptstadt: Lenbach mit einer sehr geistreichen
Porträtskizze, eine Dame in wenigen Tönen ganz dünn
gemalt, Hans von Bartels mit einem derben und
flotten Ölbild, eine alte Frau am Kamin, Friedrich
August von Kaulbach mit einem entzückenden Fächer,
Leibl mit einem seiner ernsten Bilder, „Bauernjägers
Einkehr." Dagegen hat Lindenschmit nur zwei nichts-
sagende kleine Skizzen eingeschickt. Claus Meyers
„Feinschmecker" ist gewiß ein gutes Bild und hier wohl
bekannt. Es ist wieder nach dem freilich bewährten
Rezept der alten Holländer gemalt. Aber Claus Meyer
altholländert ein bißchen viel und ein bißchen gleichmäßig.
Sein Karlsruher Akademiegenosse Schönleber hat uns
wieder eine vortreffliche Landschaft gebracht, eine Felsen-
küste der Riviera. Das ist wirklich ein Stück, wie es
in eine akademische Eliteausstellung hineinpaßt. Nach
langem Suchen fand ich auch den einen Böcklin, das
Schweigen des Waldes mit dem Fabelweib auf dem
Einhorn. Vor diesem Bild schweigt der Kritiker und
er kann Bleistift und Notizbuch in die Tasche stecken,
um sich auch einmal, so weit es sein Beruf zuläßt, als
bloß begeisterter Mensch zu fühlen. Unter den wenigen
plastischen Arbeiten ist eine vorzügliche Arbeit von Rein-
hold Begas, die rote Büste eines jungen Mädchens
von reizvollster, delikater Ausführung. R. Siemering
hat vier kleine Statuetten (allegorische Figuren) ausgestellt,
Entwürfe für den Schmuck irgend eines Prachtbaues.
Es wäre zu wünschen, daß bei der Ausführung im
Großen das geschmackvolle Detail gleichfalls zu guter
Wirkung käme. Adolf Hildebrands Marmorrelief
Leda ist keine seiner glücklichsten Arbeiten. Der Brüsseler
Bildhauer Paul de Vigne hat ein schlafendes Mädchen
eingeschickt, ein Medaillon in grüner glänzender Bronze
von glatter und pikanter Ausführung.

Es war immerhin ein Wagnis, bei den gegen-
wärtigen Zeitkäufen eine Ausstellung nur für die Mit-
glieder der Berliner Akademie einzurichten. Denn das
Wort Akademie hat jetzt einen bösen Klang und aka-
demisch ist ein schlimmes Eigenschaftswort geworden,
selbst für die, die den alten Zopf immer noch und
dauernd hinten tragen. Aber die Ausstellung hat einen
großen Erfolg. Sie ist nicht als Kampfmittel gedacht
gegen moderne Strömungen, die in der Akademie selbst,
ja, wenn auch nur vereinzelte Vertreter haben. Und auf
der andern Seite ist sie doch auch wieder kein bloßes
Kunstspital. Schon die Beteiligung des Auslandes erhebt
diese Ausstellung über das Niveau eines akademischen
Jnvalidendanks. Den Gegnern und Spöttern der Aka-
demie aber kann es ganz recht sein, die Akademiker ein-
mal unter sich zu sehen. Soweit die Hiesigen in Frage
kommen, fürchte ich sehr, daß durch solche Schaustellungen
zum Teil sehr rückschauender Art, der Nimbus der wür-
digen Herrn arg schwinden wird. Auch in diesem Falle
wieder hängt der dauernde Erfolg der Ausstellung von
dem ab, was das außerberlinische Deutschland und was
das Ausland einschickt. Im Kunst- und Ausstellungswesen
ist dieses Wcchselziehen auf auswärtige Plätze immer
mißlich. Es bleibt weiter bei der alten Erfahrung, daß
der Westwind immer noch der heimischen Kunst am
günstigsten ist, er weht uns den auch in unserem spröden
Boden keimfähigen Samen über den Rhein. kl.
 
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