Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

DOI Artikel:
Heiden, Max: Die Kunst im Hause
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0266

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Die Kunst im Hause.

Die moderne Zeit ließ diesen Teil häus-
licher Kunstarbeit nicht mit Unrecht fallen.
Dankbarere Aufgaben harren dort ihrer
Lösung. Die Verschiedenheit des Materials
und der Muster heutiger Zeit, vor allem
aber das erweiterte Bedürfnis unseres
modernen Wohnraumes für Posamenten
macht eine Massenproduktion unerläßlich.

Wie hat sich mit der Umgestaltung un-
eres inneren Hauses das Arbeitsgebiet des
Posamentierers verschoben!

Vor dem XVm. Jahrhundert ist das
gepolsterte Möbel so gut wie unbekannt und
heute verschlingt es in jeder halbivegs zeit-
gemäß ausgestatteten Wohnung nach Metern
Borten und Fransen, Dutzende von Quasten
und Troddeln! Ein Sopha oder bezogene
Bänke kannte man nicht, sie wurden höchstens
mit Teppichen, allenfalls mit Kissen bedeckt.
Noch der bezogene Stuhl des XVII. Jahr-
hunderts enthält eher durch Nägel als durch
Fransen eine ornamentale Betonung der
gegebenen Hanptlinien. Fenstergardinen oder
Portieren, deren reizvolle Besätze aus kleinen
Bällchen u. dgl. heutigen Tages
Beschäftigung für eine Menge
von Fabriken abgeben, kommen
in alter Zeit kaum in Betracht.

Der Ausfall, welcher anderer-
seits eintritt durch die weniger
prunkhafte Ausstattung des mo-
dernen Bettes oder durch den
Wegfall des Klingelzuges, den
uns die Elektrizität in einen
Knopf auflösen half, ist durch
hundert andere Kleinigkeiten des
modernen Lebens ausgeglichen,
die sich bis zum Papierkörbchen
und dem Eckbrett der Wirtschaft
eines Junggesellen hin erstrecken:
überall hilft ein Troddelchen,
eine Franse oder Gimpe sinn-
reich schmücken.

Die zweite Gruppe der Posa-
menten steht in Bezug auf An-
fertigung mit der Bortenwirkerei
in keinem direkten Zusammenhang,
es gehören dazu die freigearbeiteten
Quasten, welche dem Mittelalter s
ihre Entstehung als Schmuck kirch-
licher Gewänder zu verdanken
haben. Für die Stilistik ist der Übergang von
der Franse zur Quaste wichtig; zur Ver-
meidung von Verirrungen im Geschmacke
dieser uns begleitenden Ausstattungskunst
sollten wir den Ursprung derselben nie außer
Acht lassen.

Das Mittelalter schmückt seine kirchlichen
Gebrauchsstücke mit langen Seidenfransen,
die nur durch ihren Glanz und ihre vor-
nehme Farbenstimmung wirken, ohne orna-
mental verschlungen zu sein. Aus demselben
Material bestehen auch die Gewandquasten,
welchen zur Beschwerung der längeren Jeiden-
fäden eine Kugel aus Bergkrystall, Bern-
stein oder Metall als oberer beweglicher
Körper eingezogen wurde. Dieser soll Halter
der Fäden sein, verleiht aber auch der Quaste
den Charakter des Behanges.

Die Kugel macht späterhin alle möglichen
Formen als Oberteil der Quaste durch und
wird schließlich ersetzt durch einen gedrehten
Holzkörper, welchen man durch Überspinnen
oder Klöppelarbeit bekleidet.

Gute Beispiele davon geben unsere Ab-
bildungen, welche meistens in Anlehnung
an alte Stücke gearbeitet wurden.

Aber wohin geraten wir denn mit der
Ausbildung des Quastenkörpers?

Er gestaltet sich schließlich zu einer mit
Seide überzogenen Kunstdrechselei, die jeder
hängenden Fäden entbehrt! (Vergl. Abb. 7.)
Hängend ist so ein Ding als Deckenzapfen,
umgekehrt als Knauf eines Treppengeländers
prächtig zu verwerten; doch zu den Produkten
der Textilkunst kannman es kaum noch zählen.

Es hatte schon seinen guten Grund, daß
der Berliner Kunstgewerbe-Verein vor kurzem
eine Konkurrenz für waschbare Gardinen-
halter ausschrieb; damit war von vornherein
jedem stilistischen Unfug die Spitze abge-
j krochen. Trotzdem waren Arbeiten mit Ein-
lagen von Steinpappe und Draht einge-
liefert worden!

Nun ist in heutiger Zeit die Waschbar-
keit solcher Gegenstände allerdings durch
chemische Reinigungsverfahren sehr weit aus-
! gedehnt; dennoch mußte in diesem Falle die
Forderung derselben wohl so verstanden
werden, daß die Einlagen des leinenen
Halters mit der Quaste ebenso schadlos gegen
Wasser oder Seife seien, wie die dazu ge-
hörige Gardine.

s ro

uns Nr. l 1 ein Beispiel giebt. Der heraus-
stehende Knopf aus Chenille bildet die Ecke,
von ihr aus laufen sternartig nach vier Seiten
hin die geflochtenen und übersponnenen
Schnürchen.

Die sonst hier abgebildeteten Quasten
sind mehr oder weniger unter Benutzung
alter Vorbilder entstanden. Nr. 2 vertritt
den Typus des XVII. Jahrhunderts. Der
Halter ist mehr gegliedert, die durchgehenden
Linien bestehen ans farbiger Chenille, wäh-
rend der netzartig umsponnene Körper und
der Mantel aus Seidenfäden hergestellt sind.
Nicht ganz glücklich ist die Wirkung dieses
Stückes in Bezug auf Größenverhältnisse der
einzelnen Glieder. Man hat die Empfin-
dung, als ob die lose heraushängenden
Seidenfäden gegenüber dem oberen Teile
der Quaste länger sein könnten.

Gute Profilierungen und günstigere For-
menverhältnisse sind in der in Blau und
Weiß gearbeiteten Quaste vorhanden (Ab-
bildung Nr. 6), welche sich in Technik, mit
den übersponnenen Pappstreifchen zwischen
den gedrehten Fransen, an
Beispiele des XVIII. Jahr-
hunderts anschließt. Dasselbe
ist von der Quaste Nr. 5 zu
sagen, die neben der vorteil-
haften Farbengebung in gelber
Seide und Gold gute Neuheiten
in der Formengebung des Kör-
pers enthält.

In den Besatzborten mit
Fransen (Abbildungen 9, 10,
12, 13, 14) neigt man sich
dem Geschmacke der Empirezeit
zu; unsere Beispiele zeigen
denn auch, wie gerade diese
Kunstperiode für dergleichen Ar-
beiten sich am Besteneignet:
jeder Besatz muß trotz der Not-
wendigkeit nicht aufdringlich er-
scheinen, in richtigen Verhält-
nissen mit Borte und Franse
zu einander stehen — dann wird
sich der Posamentierarbeit ein
breites Feld auf vielen Gebieten
der Kunstindustrie erschließen.

Gute Vorbilder von waschbaren Leinen-
^ quasten sind uns übrigens als venelianische
. Arbeiten des XVI. Jahrhunderts erhalten,
welche denn auch bei der Berliner Konkur-
renz vielfach benutzt und mit Preisen bedacht
! wurden.

Auch in der Reihe unserer abgebildeten
Stücke beruht die Möbelquaste Nr. 1 auf
Nachbildung derartiger Vorbilder. Der
Körper ist Vasen- oder flaschenförmig, glatt
aus Holz gedreht und mit farbigen Fäden
in Klöppelei überzogen. Der Charakter des
Zweckes ist ausgedrückt durch hängende
Kettchen aus Kugeln. Interessant an diesem
Stück, wie auch an dem verwandten Beispiel
Nr. 8 sind die runden Ansatzstücke, welche
^ den Übergang vom Möbel zur schmückenden
Endigung, der Quaste, vermitteln: eine reiz-
volle Zuthat, die mir in der Form bei alten
Stücken nie vorgekommen ist. Die neuere
Zeit hat damit auch für Kissenecken eine
verständige Lösung gefunden. Der geraffte
Stoff, welcher oft wie das Schulterstück eines
weihlichen Gewandstiickes hervortrat oder die
bekannten drei und vier Schleifen, aus der
übrig gebliebenen Besatzschnur gelegt, werden
heut ersetzt durch Aufsatzstücke: kleiner oder
größer, je nach der Form des Kissens, wie

Über Farbengebung.

)l)eim Entwurf zu einem Bilde, beim Kolo-
rieren eines Ornamentes, bei der Wahl
eines Möbelstoffes, oder einer Tapete —
muß unser natürlicher Farbensinn und unser
Geschmack uns leiten. Farbensinn und Ge-
schmack sind rein künstlerische, angeborene
Gaben, die aber gebildet und verfeinert
werden können.

Die Farben, welche von rohen Völkern
verwendet werden, frappieren häufig durch
ihre Leuchtkraft und das Geschick, mit dem
sie zusammengestellt sind — häufiger aber
noch..durch grelle Kontraste und durch Mangel
an Übergängen und Mischfarben.

Der verfeinerte Geschmack fürchtet sich
vor Mißgriffen bei Farbenzusammenstellungen
und führte zur Farblosigkeit, Weiß mit Gold
oder Grau in Grau, wobei dann allerdings
die wenigen und sparsam verwendeten Farben
doppelt zur Wirkung gelangten.

Vor nicht langer Zeit waren alle leb-
haften Farben mehr oder weniger verpönt
und nur ganz zarte oder unbestimmte
Farben in Verwendung, da dieselben leichter
 
Annotationen