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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Vincenti, Carl Ferdinand von: Die internationale Jubel-Ausstellung in Wien, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0277

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Die internationale Jubel-Ausstellung in Men.

2l6

englisch sein will, oder die ganze Welt ins Englische
verzerrt. Nicht so hier. Fast ausnahmslos sind diese
Allegoriker, diese Bildnismaler, Landschafter, Sitten -
schilderer selbstverständlich englisch, ohne Gesuchtheit;
letztere tritt höchstens in den akademischen Bildern, aller-
dings dann mit vornehmstem Air hervor. Der echt eng-
lische Idealismus, der diese Darstellungen durchweht,
der Erdgeruch des Heimatbodens, der aus diesen Land-
schaften dampft, das nationale Bewußtsein, das aus
diesen Bildnissen spricht, die starke Volkseigenart, die
durch diese Schilderungen schlägt, üben einen merk-
würdigen Eindruck aus. Wir haben die modernste Kunst
vor uns und zugleich eine Kunst, die, wie kaum eine
andre, den Überlieferungen großer Meisterzeiten ergeben
ist. Das giebt einen Doppelreiz.

So interessant und belehrsam indes die englische
Abteilung ist, sie hat eine Lücke: Es fehlen die Prä-
raffaeliten, wenn auch von ihrem Geiste zu verspüren
ist. Insbesondere Edward Burne-Jones, von dem Helferich
so richtig sagt, er ähnle in nichts einem Maler, wie ihn
die neuen Strömungen zur Erscheinung gebracht haben, ver-
mißt der Kunstfreund. Die paar photographischen Repro-
duktionen geben keinen Begriff von diesem eigenartigen,
dichtenden Malertalente, diesem englischen Engelmaler
sondergleichen. Ein Bild von ihm, eines von seinem
Vorgänger Rossetti, dann noch ein Watts und ein Holman


Studie ;u den Wandgemälden in der Rathaushslle
zu Hildrshrim. von prell.

Hunt und der Beschauer hätte einen Blick in diese merk-
würdige Welt der englischen Quattrocentisten von heute
gethan, die ein Menschenalter höchst englischer Malerei
für sich bedeutet, ungleich selbständiger, als dir ihnen
verwandte unsrer Nazarener und der französischen Symbo-
listen. Etwas von ihrer Seele lebt in Walter Cranes
„Freiheit", einer Allegorie, worin die Befreiung eines
Gefangenen aus Kerkernacht durch Engelswunder mit dem
strengen Pathos der Schule vorgetragen wird. Auch
Richmond mit seiner „Jeanne d'Arc", Stott of
Oldham mit seiner gracilen Schaumgeborenen und ins-
besondere Marianne Stokes mit ihrem innigen „Ge-
grüßt seiest du, Maria!", das ein so schöner Gnaden-
schein umwebt, klingen an diese Richtung an. Alma-
Tadema haben wir selten so kräftig und lebensvoll
gesehen wie in dieser „Fredegunde", welche hinter dem
Fenstervorhang mit finsterem Haß die Trauung ihres Gatten
Chilperich mit der fürstlichen Galeswintha beobachtet.
Köstlich und funkelnd im Detail, erzielt das Bild bei
aller Glätte durch die glückliche Behandlung von Licht
und Schatten eine starke Wirkung. Kühl läßt uns da-
gegen Sir Frederic Leightons „Perseus und Andro-
meda". Das Akademisch-Künstliche feiert hier einen
Triumph über das Künstlerische. Der Präsident der
Royal Academy spricht eine wunderschöne Formensprache,
tadellos, korrekt; diese Königstochter unter dem Schatten
der Drachenschwingen ist salonfähig, statuenhaft nackt,
diese Felslandschaft mythologisch vortrefflich aufgebaut,
wir bewundern, aber wir empfinden nichts. Und dies
ist der Maler des berühmten Bildes „Wedded", welches
einen so mächtigen Herzensaccord angeschlagen hat!

Die Bildnisse aus dem englischen Kunstklima finden
in weiteren Kreisen das meiste Verständnis. Hier ist
moderne Kunst im vornehmsten Sinne. Stockenglisch sind
diese Bildnismaler und doch wie individuell! Eine ge-
wisse Noblesse ist ihnen gemeinsam, es ist Künstler-
blaublut in dieser Menschenmalerei, auch wenn sie sich
demokratisiert. Ein englisches Porträt kann in irgend
ein internationales Sammelbecken von Gemaltem hinein-
geraten, man wird es sofort erkennen. Herkomers
Archibald Forbes ist in Wien bekannt; es stellt sich in
Energie der Behandlung und plastischer Kraft neben
Stanley, der seinerzeit in München gewesen. Ouleß
weiß, echt englisch, seinen beiden Bildnissen, dem Kardinal
Manning und seinem Kollegen und Freunde Armitage,
das richtige Maß von Noblesse zuzuteilen. Mit sichtlicher
Erfurcht ist der Kirchenfürst in Purpur, mit vornehmer
Kameradschaftlichkeit der Maler mit Velvetrock und Pa-
lette dargcstellt, bei beiden die geistige Bedeutung glück-
lich betont. Der elegante Wirgman ist der englische
Lordmaler; sein Lord Hannen ist eine ganze Kaste für
sich, bis zu den Spitzenmanschetten unnahbar. Was die
englischen Frauenmaler bringen, ist ein Hauptreiz der
Ausstellung. Wenn ich zwischen Shannons beiden Voll-
blut-Engländerinnen, der Dame in Schwarz und der
Dame in Weiß zu wählen hätte, entschiede ich mich für
die letztere: Mrs. T. Carrew O'Brien, obwohl die
erstere, Mrs. George Hitchevek, die interessantere ist.
Jene ist klarer, aufrichtiger in der Farbe, während mich
bei dieser die feinen grauen Lichter im Gesichte stören.
Richmond bringt wieder eines seiner entzückenden
Mädchen mit aufgelöstem mahagonifarbenem Haare; wie
kraftvoll ist andererseits sein kleines Brustbild Holman
 
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