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Die große Berliner Kunstausstellung 18IH.
Abend, von Fritz Saß.
Intern. Kunstausst. des Vereins bild. Künstler (Secession) zu München.
Verhältnis doch erwarten, daß dadurch auch die Ansprüche
des kunstfreundlichen Publikums allmählich gesteigert werden,
und gibt es doch einige Gewähr, daß selbst hier in Berlin
ein Rückfall in ganz öde Kunstbarbarei vorläufig wenigstens
nicht zu befürchtete ist. Die jeweilige Höhe des durch-
schnittlichen Kunstschaffens offenbart sich immer besonders
charakteristisch in den Nebenströmungen des künstlerischen
Betriebes. Hier wäre der Ort, auf das Kunstgewerbe
einzugehen, dem in der diesjährigen Ausstellung ein
breiterer Raum als früher gewährt worden ist. Aber
was hier geboten ist, ist schlimmer als alle Bilder. Aus-
steller dieser Arbeiten sind gar nicht die Künstler, die
sie geschaffen haben, sondern die Firmen, die damit
Handel treiben. Stehen auch nicht gerade Preise an
den Sachen, so erinnert diese Art Ausstellung doch sehr
an ein Warenmagazin. Goldschmiedearbeiten und Porzellan
bilden die wichtigsten Gruppen der heimischen Kunst-
industrie. Die Erzeugnisse der Berliner Porzellan-
manufaktur lassen wieder ihre bekannten Eigenschaften
erkennen: sehr sichere und korrekte technische Durchführung
und ein sehr fragwürdiger künstlerischer Gehalt. Nur
in den Nachahmungen ihrer alten Muster kann die Manu-
faktur in beiden Richtungen genügen. Wirkliche lebendige
Kunst läßt sich nun einmal vom grünen Tisch des
Ministeriums nicht verordnen.
Aber von einer anderen Nebenströmung der großen
Kunst möchte ich noch sprechen, von der Damenmalerei.
Sie als Nebenströmung zu bezeichnen, mag unhöflich
scheinen und ist gewiß unvorsichtig. Unsere malenden
Damen sind aber von der Strömung mitfortgerissen, sie
haben sie nicht gemacht. In dieser einen Beziehung sich
also einmal nebensächlich behandelt zu sehen, müssen sie sich
schon gefallen lassen. Die weibliche Malerei kommt mir
auf dieser Ausstellung besser vor als auf andern, viel-
leicht ja nur, weil die männliche Umgebung schwächer
geworden ist. Übrigens wäre gerade jetzt das Aufkommen
starker Weiber zu erklären, stellen sie sich doch immer
ein in Zeiten, in denen die Männer einen bedenklichen
Zug zum Waschlappigen haben.
Allen hiesigen malenden Frauen weit
voran steht Dora Hitz. Wäre sie nicht
so fein und so eminent weiblich, man
möchte sie einen Mann nennen. Weiblich
zeigt sie sich auch darin, daß sie fremde
Einflüsse so schnell sich aneignet und ver-
arbeitet. Ihr rothaariges Waldmärchen
ist ein entzückendes Farbengedicht. Ihre
besondere Kraft liegt doch nicht im Bild-
nis, wie man früher wohl glauben
mochte, sondern nach der phantastischen
Seite hin. Neben ihr ist Linda Kögel
im Porträtfach von Bedeutung. Gefällige
Damen- und Kinderporträts werden von
Berliner Malerinnen mehrfach mit glück-
lichem Geschick hervorgebracht, Traute
Steinthal, Martha von Stuckrad,
Betty Wolf. Gute Auffassung zeigt
ein Kinderportrüt in Pastell von Lolo
Barnay, besser ist noch der Studien-
kopf eines alten Mannes in Öl derselben
Künstlerin, die darin eine bemerkenswerte
kräftige Behandlung erkennen läßt.
Was im allgemeinen über die Berliner
Malerei gesagt wurde, gilt auch für die Plastik. Auch hier ein
breites Niveau gleichmäßiger Tüchtigkeit und in gleicher
Weise ein merklicher Mangel ragender Spitzen. Immerhin
ist aber noch zu merken, daß die bessere Plastik länger in
Berlin heimisch ist, als die gute Malerei. Aus der Fülle
der Porträtbüsten, die in allen Sälen verteilt sind, ist nur
weniges zu erwähnen, vor allem O. Lessings äußerst
glückliche Büste von L. Knaus. Recht lebendig ist auch
das Porträt der Frau Vilma Parlaghy von Joseph
Drischler. Peter Breuers große Gruppe „Adam
und Eva" ist in den mächtigen Leibern von recht deko-
rativer Wirkung. In der kleineren Plastik sind einige
reizende Arbeiten da, so der köstliche Neger auf dem
bockenden Esel von Rudolf Maison. Von diesem
auch noch einige ganz naturalistisch bemalte Statuetten.
Ludwig Manzels „Abend", ein reizvolles singendes
junges Mädchen, ist von frischester Erfindung. Nach-
träglich hat noch Ernst Moritz Geyg er einige plastische
Tiergruppen von bester Arbeit ausgestellt. So gut sie
sind, so ist Geyger als Kupferstecher von ungleich größerer
Bedeutung. Von seinem, nach jahrelanger fleißigster
Arbeit eben fertig gewordenen großen Kupferstich nach
Botticellis „Frühling" ist ein Probedruck ausgestellt. Das
ist nicht nur der beste moderne Kupferstich —- ich spreche
von dem wirklichen mit dem Stichel ausgeführten Kupfer-
stich, nicht von der Radierung — sondern er ist technisch
in so neuer Weise hergestellt worden, daß dadurch ganz
erstaunliche, bisher noch nicht erreichte malerische Effekte
hervorgebracht sind. Das Neue besteht darin, daß alle
Flächen in feine und feinste, haarscharfe, wie mit dem Rasier-
messer geschnittene Liniengruppen aufgelöst sind. Keines-
wegs ein Linienstich im alten Sinn, es ist im Gegenteil
alles bloß zeichnende Konturieren vermieden. Um so
mehr und um so treffender ist die Wiedergabe der Farben-
werte erstrebt worden. Diese eine glanzvolle Leistung
that not, um das Niveau der Berliner Ausstellung zu
heben. Freuen wir uns doppelt, daß sie von einem
echten Berliner ausging. Das eine Beispiel könnte zeigen,
daß es nicht an der Berliner Luft liegt, wenn über die
Die große Berliner Kunstausstellung 18IH.
Abend, von Fritz Saß.
Intern. Kunstausst. des Vereins bild. Künstler (Secession) zu München.
Verhältnis doch erwarten, daß dadurch auch die Ansprüche
des kunstfreundlichen Publikums allmählich gesteigert werden,
und gibt es doch einige Gewähr, daß selbst hier in Berlin
ein Rückfall in ganz öde Kunstbarbarei vorläufig wenigstens
nicht zu befürchtete ist. Die jeweilige Höhe des durch-
schnittlichen Kunstschaffens offenbart sich immer besonders
charakteristisch in den Nebenströmungen des künstlerischen
Betriebes. Hier wäre der Ort, auf das Kunstgewerbe
einzugehen, dem in der diesjährigen Ausstellung ein
breiterer Raum als früher gewährt worden ist. Aber
was hier geboten ist, ist schlimmer als alle Bilder. Aus-
steller dieser Arbeiten sind gar nicht die Künstler, die
sie geschaffen haben, sondern die Firmen, die damit
Handel treiben. Stehen auch nicht gerade Preise an
den Sachen, so erinnert diese Art Ausstellung doch sehr
an ein Warenmagazin. Goldschmiedearbeiten und Porzellan
bilden die wichtigsten Gruppen der heimischen Kunst-
industrie. Die Erzeugnisse der Berliner Porzellan-
manufaktur lassen wieder ihre bekannten Eigenschaften
erkennen: sehr sichere und korrekte technische Durchführung
und ein sehr fragwürdiger künstlerischer Gehalt. Nur
in den Nachahmungen ihrer alten Muster kann die Manu-
faktur in beiden Richtungen genügen. Wirkliche lebendige
Kunst läßt sich nun einmal vom grünen Tisch des
Ministeriums nicht verordnen.
Aber von einer anderen Nebenströmung der großen
Kunst möchte ich noch sprechen, von der Damenmalerei.
Sie als Nebenströmung zu bezeichnen, mag unhöflich
scheinen und ist gewiß unvorsichtig. Unsere malenden
Damen sind aber von der Strömung mitfortgerissen, sie
haben sie nicht gemacht. In dieser einen Beziehung sich
also einmal nebensächlich behandelt zu sehen, müssen sie sich
schon gefallen lassen. Die weibliche Malerei kommt mir
auf dieser Ausstellung besser vor als auf andern, viel-
leicht ja nur, weil die männliche Umgebung schwächer
geworden ist. Übrigens wäre gerade jetzt das Aufkommen
starker Weiber zu erklären, stellen sie sich doch immer
ein in Zeiten, in denen die Männer einen bedenklichen
Zug zum Waschlappigen haben.
Allen hiesigen malenden Frauen weit
voran steht Dora Hitz. Wäre sie nicht
so fein und so eminent weiblich, man
möchte sie einen Mann nennen. Weiblich
zeigt sie sich auch darin, daß sie fremde
Einflüsse so schnell sich aneignet und ver-
arbeitet. Ihr rothaariges Waldmärchen
ist ein entzückendes Farbengedicht. Ihre
besondere Kraft liegt doch nicht im Bild-
nis, wie man früher wohl glauben
mochte, sondern nach der phantastischen
Seite hin. Neben ihr ist Linda Kögel
im Porträtfach von Bedeutung. Gefällige
Damen- und Kinderporträts werden von
Berliner Malerinnen mehrfach mit glück-
lichem Geschick hervorgebracht, Traute
Steinthal, Martha von Stuckrad,
Betty Wolf. Gute Auffassung zeigt
ein Kinderportrüt in Pastell von Lolo
Barnay, besser ist noch der Studien-
kopf eines alten Mannes in Öl derselben
Künstlerin, die darin eine bemerkenswerte
kräftige Behandlung erkennen läßt.
Was im allgemeinen über die Berliner
Malerei gesagt wurde, gilt auch für die Plastik. Auch hier ein
breites Niveau gleichmäßiger Tüchtigkeit und in gleicher
Weise ein merklicher Mangel ragender Spitzen. Immerhin
ist aber noch zu merken, daß die bessere Plastik länger in
Berlin heimisch ist, als die gute Malerei. Aus der Fülle
der Porträtbüsten, die in allen Sälen verteilt sind, ist nur
weniges zu erwähnen, vor allem O. Lessings äußerst
glückliche Büste von L. Knaus. Recht lebendig ist auch
das Porträt der Frau Vilma Parlaghy von Joseph
Drischler. Peter Breuers große Gruppe „Adam
und Eva" ist in den mächtigen Leibern von recht deko-
rativer Wirkung. In der kleineren Plastik sind einige
reizende Arbeiten da, so der köstliche Neger auf dem
bockenden Esel von Rudolf Maison. Von diesem
auch noch einige ganz naturalistisch bemalte Statuetten.
Ludwig Manzels „Abend", ein reizvolles singendes
junges Mädchen, ist von frischester Erfindung. Nach-
träglich hat noch Ernst Moritz Geyg er einige plastische
Tiergruppen von bester Arbeit ausgestellt. So gut sie
sind, so ist Geyger als Kupferstecher von ungleich größerer
Bedeutung. Von seinem, nach jahrelanger fleißigster
Arbeit eben fertig gewordenen großen Kupferstich nach
Botticellis „Frühling" ist ein Probedruck ausgestellt. Das
ist nicht nur der beste moderne Kupferstich —- ich spreche
von dem wirklichen mit dem Stichel ausgeführten Kupfer-
stich, nicht von der Radierung — sondern er ist technisch
in so neuer Weise hergestellt worden, daß dadurch ganz
erstaunliche, bisher noch nicht erreichte malerische Effekte
hervorgebracht sind. Das Neue besteht darin, daß alle
Flächen in feine und feinste, haarscharfe, wie mit dem Rasier-
messer geschnittene Liniengruppen aufgelöst sind. Keines-
wegs ein Linienstich im alten Sinn, es ist im Gegenteil
alles bloß zeichnende Konturieren vermieden. Um so
mehr und um so treffender ist die Wiedergabe der Farben-
werte erstrebt worden. Diese eine glanzvolle Leistung
that not, um das Niveau der Berliner Ausstellung zu
heben. Freuen wir uns doppelt, daß sie von einem
echten Berliner ausging. Das eine Beispiel könnte zeigen,
daß es nicht an der Berliner Luft liegt, wenn über die