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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1900)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Vom Choral
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0020

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IDom Lborül.

Wer kennt nicht die berühmte Stelle im „Faust", wo der er-
klingende Osterchoral „Christ ist erstanden" den Lebensmüden wieder
ins Leben zurückruft? Wer hat die Wirkung eines feierlichen Chorals
nicht irgendeinmal an sich selbst erfahren? Auch der Ungläubige kann
sich seiner Macht nur schwer entziehen; nicht blotz. weil er etwa „an
diesen Klang von Jugend auf gewöhnt" ist, sondern vor allem. weil
unsere Choräle nicht konventionelle Machwerke sondern künstlerische Ge-
bilde sind, denen ein starkes, echtes und darum suggestiv überzeugendes
religiöses Fühlen innewohnt, das auch andere Seelen mit in Schwingung
zu setzen vermag. Als der Glaube anfing, Sache der Kindlichkeit odcr
der Gewohnheit zu werden, fing er auch an, in der Kunst seine
schöpserische Krast zu verlieren.

Hcutzutage denkt man bei dem Worte „Choral" an ein geistlich Lied,
das in breiten, ruhigen, leidenschaftslosen Tonschritten vor sich geht. Aber
das ist blotz die letzte und daher uns geläufige Phase seiner geschicht-
lichen Entwickelung. Jch sehe da ganz ab vom gregorianischen Choral,
den die katholische Kirche als den einzigen liturgischen Gesang anerkennt
und der eine gar wunderoolle Welt für sich bildet. Sondern vom
deutschen Choral soll die Rede sein. Er verdankt sein Entstehen dem
Umstand, daß den Deutschen die Teilnahme am gottesdienstlichen Ge-
sange infolge der gänzlichen Verschiedenheit der Sprache viel schwerer
fiel, als den romanischen Stämmen, und sie dem religiös bewegten
Jnnern doch Ausdruck zu geben unwiderstehlich sich gedrängt fühlten.
Da begannen national empfindende Benediktinermünche in der Art der
lateinischen Hymnen und Prosen geistliche Lieder in der Volkssprache zu
oerfassen, auf die man das alte Wort „Leich" übertrug oder die nach
dem gewöhnlichen Refrain „kirleis" auch Leise genannt wurden. Sie
erklangen nach der Predigt oder an Stelle der Sequenzen (nicht aber
beim eigentlichen Gottesdienste), auf Wallsahrten, Bittgängen und sonstigen
Festlichkeiten. Da die Gattung der strengen kirchlichen Aufsicht nicht unter-
lag, konnte darin nationale Besonderheit sich einigermatzen bemerkbar
inachen, wenn auch die gregorianischen Vorbilder die musikalische Phan-
tasie noch immer im Banne hielten. Später begannen anch Lnien geist-
liche Lieder zu dichten, wie der sogemmnte Spervogel im zwölften Jahr-
hundcrt, und aus derselben Zeit stammt wohl der Ostergesang „Christ
ist erstandcn", das Pfingstlied „Nun bitten wir den heiligen Geist" und
die Pilgermeise „Jn Gottes Namen fahren wir". Der mächtige Auf-
schwung des religiösen Fühlens durch die Kreuzzüge kommt da in An-
schlag. Auch die Geitzlerprozessionen des Jahrhunderts brachten
eine Menge geistlicher Lieder in Schwang, und je mehr der liturgische
Choral im Zwange der kunstmäßigen Polyphonie erstarrte, desto reicher
blühte das religiöse Volkslied auf. Der Mönch von Salzburg und
Heinrich von Laufenberg dichteten lateinische Hymnen im Deutschen nach,
der erstere daneben religiöse Lieder im Volkston, während der zweite
weltliche Volkslieder im geistlichen Sinne umdichtete. So griffen denn
die erst so feindlichen oder doch getrennten Sphären des Geistlichen und
Weltlichen in einander; die ursprünglich geistlichen Weisen gewannen
durch die neuen weltlichen Texte an Frische und sinnlicher Anmut, die
 
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