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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 20 (2. Juliheft 1900)
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Göhler, Georg: Eine Vollendung der Bach-Ausgabe und die neue Bach-Gesellschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0300

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Die IDollendung der Dacb-Ausgnbe mrd die nene
Mucb-Sesellscbutt.

Die kritische Gesamtausgabe der Werke Bachs durch die Bach-Ge-
sellschaft ist vollendet. Das klingt sehr einfach, fast selbstverständlich.
Aber erst s899 ist der Schlußband fertig geworden, und scöO ist Bach
gestorben! Zu seinen Lebzeiten war, wenn man die Menge seiner Werke
in Betracht zieht, nur ein minimaler Bruchteil gedruckt, noch im ersten
Drittel unseres Jahrhunderts kommen nur wenige Neudrucke hinzu; als
man dann s830 die große Gesamtausgabe anfing, war inzwischen viel vcr-
loren gegangen und die Arbeit so erschwert, daß ziemlich ein halbes Jahr-
hundert verging, ehe das große Werk vollendet war. Und wem war die
Vollendung zu danken? Wer hielt in diesen fünfzig Jahren trotz unsäglicher
Mühen treu aus? Ein paar aufopferungsfähige, pflichteifrige Männer, die
in stiller, äußerlich nicht ancrkannter und gelohnter Arbeit im Dicnst
der großen Sache blieben. Und jetzt, da alles abgeschlossen ist, wer fragt
darnach? Die Tagespresfe hat bei der Masse ihrer Stadt-, Welt-, Hof-,
Geld-, Krieg- und Sport-Berichte keine Zeit dafür übrig, die Fachpresfe
hat mit den Virtuosen und sonstigen Musikmachern zu thun, und der
Gebildete wundert sich höchstens, daß es den ganzen Bach nicht längst
gab — denn: „schließlich ist das doch nationale Ehrenpflicht, den großen
Künstlern durch eine Gesamtausgabe ihrer Werke ein Denkmal zu setzcn."
Sehr richtig; aber nun sehe man cinmal, was die Nation, die so gern
mit ihren Dichtern und Denkern und Künstlcrn — man kann nur sagen:
„protzt", was die für sie zu Lebzeiten und nach dem Tode thut! Die
Gesamtausgabe Bachs ist die Leistung einiger weniger
Männer, und durchaus keine That der Nation. Und wie stehts
denn sonst? Die hundert Bände der Gesamtausgabe Händels danken
wir fast ganz ausschließlich einem Manne, Chrysandcr, der mit bei-
spielloser Energie nicht nur die nvtigen Vorlagen beschafft und gcsichtet,
sondern auch die technische Herstellung zuin Teil selbst besorgt und über-
wacht hat. Dafür darf ihn jeder hergelaufene Musiker, dcm seine Art
nicht behagt, einen Sonderling oder einen unfähigcn Herausgeber scheltcn.
So gehts in Deutschland zu, wenn fich's um Kunstpolitik handclt.

Doch die Ausgabe ist ja fertig. Lasfen wir deshalb die trüben
Gedanken und fehen wir, was und wie's erreicht worden ist. Der Schluß-
band der Ausgabe ist zu diesem Zwecke der befte Helfer. Er enthält
einen Bericht über die Thätigkeit der Bachgesellschaft nnd die Register.

Der Bericht, dcn Kretzschmar geschriebcn hat, gibt äußerst inter-
essante Ausschlüsse über die ganze Bach-Bewegung. Er ist auch einzeln
crschienen und kann allen, die für den großen Thomaskantor nicht nur
„Jnteresse", sondern auch fünf Mark übrig haben, aufs wärmste zum
Studium empfohlen werden. Da Kretzschmar der Verfasser ist, braucht
nicht erst betont zu werden, daß auf den Sciten nicht bloß statistische
Notizen, sondcrn eine Menge Betrachtungen künstlerischer Natur und An-
regungen für die Kunstpflege unserer Tage zu finden sind.

Schon die cinleitenden Worte des ersten Abschnittes, der Vor-
geschichte, klingen tröstlich. „Dem j8. Jahrhnndert blieb Bach im
besten Teil seines Wesens verschlossen. Nach dem Siege über Marchand
galt er seinen Zeitgenossen als »der Fürst allcr Klavier- und Orgel-
Kunstwarl
 
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