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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 13 (1. Aprilheft 1900)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0042

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IKundscdrru.

Dichtung.

* Von dcr Gütc.

Was mich cm der gegenwärtigen
Literaturthätigkeit und Literaturbe-
trachtung immer nneder überrascht,
ist die Abwcsenheit einer Eigenschaft,
die chemals für die sclbstverständlichstc
Voraussetzung aller Kunstübung und
Kunstempsänglichkeit gehalten wurde:
der Herzensgüte. Diese galt zu der
Zeit, als unsere Klassiker jung waren,
geradezu sür dcn Prüfstein der Kunst-
bcgabung. Ein hcrzenskalter Mensch,
ein unkünstlerischcr Mensch.

Dcrgleichen scheint uns heute vicl
zu gering. Wir geben's mit Donner
und Blitz. Prometheischen Trotz, Olym-
vische Verachtung, niederschmetternde
Persönlichkeit, das ist das Mindeste.
Titanische Naturen: Aeschylos, Dante,
Michel Angelo, Beethoven, das lassen
wir uns gefallen.

Wohl. Sehen wir uns einmal dicse
Titanen näher an. Hat nicht Dante
ncben der Hölle ein Fegefeuer und ein
Paradies geschaffen? Michel Angelo
neben dem Moses eine Eva? Bect-
hoven neben der Krcuzersonate eino
ll-ünr Violinsonate? Nun will ich
zwar nicht behauptcn, die ,näre

die Kreuzersonato wert (obschon auch
nicht das Gcgenteil), abcr ich behaupte:
wer nicht eine I'-clur-Sonatc schaffen
kann, kann auch nicht eine Kreuzer-
sonate schaffen, ich behaupte: ohne
Dantes Himmel konnte Dantes Hölle
nicht cntstehen, ich behauptc: wer nicht
reinc sonnige Schönheit im guten
selbstvcrgessencn Herzen als Triebfeder
zu spüren vermag, wird niemals etwas
Großes in der Kunst leisten.

Vor lauter titanischen Grimassen ist
uns sogar das Verständnis der echten
Titanen abhanden gekommen. Ein
Beethovenisches Adagio tragen wir
wie einen feiorlichen Gottesdienst vor
und ein Andante wie ein Adagio.
Vernimmt jcmalS Einer ein unver-
schlepptes Tempo und einen einfachen
Runstwart

natürlichen Vortrag, so entsetzt er sich
wie vor einem Sakrileginm. Ja, meint
man denn, Beethoven wollte uns
imponieren? Bcwahrc, imponieren
wollen uns bloß die Großhänse; die
wahren Großen sind dazu viel zu gut,
die wollten weiter nichts als uns be-
seligen. Oder nein, nicht einmal das,
sie wollten cinfach ihre Sache recht
machcn. Weil sie aber gut und groß
warcn, kam dnbei etwas Beseligendes
heraus. Larl Spitteler.

* Gcdichte in Schullesc-
büchc r n.

Dcr Entwurf des neucn Urhebcr-
gesetzes verbietet, in Schullesebüchern
an den Gedichtcn lebendcr Verfasser
ohne deren Zustimmung etwas zu
ändern. Das schcint znmal im Hin-
blick auf allcrhand trübe Vcrballhor-
nungen außerordentlich recht, sein
Aber hat's jedoch auch, und diesem
Aber gibt jetzt Otto Lpon in seincr
„Zeitschrift f. d. deutschen Untcrricht"
Ausdruck. „Ein slrcugcrer philologi-
scher Geist", so sagt er, „durchzieht
heute die ganze Lehrerschaft, uud dicser
gibt sich auch darin kund, daß man zu
Aenderungen der Lescstücke nur greift,
wenn cs die untcrrichtlichc und erzieh-
liche Aufgabe der Schule uubedingt
fordcrt. Dieses Recht zu ävdein muß
aber, unter der angegcbencn Ein-
schränkung, der Schule durchaus ge-
wahrt bleiben. Denn in der Schule
ist der höchstc Nichterstuhl, vor dem
allc Fragen entschieden wcrden müssen,
die Seele des Kindes. Ein gesunder
und großer Staat wird dahcr dicses
geringc Opfer für die Gesamtheit und
für die Jugend dcr Nation von jedem
Schriftsteller oder Dichtcr fordern, ohne
befürchten zu müssen, dadurch dem
Jndividualrecht allzu nahe zu treten
oder bercchtigte Jnleressen zu verletzen.
Es würde tief zu bcklagen scin, wcnn
der Z 23 des Entwurfes zum Gesetz
erhoben ivürde. Denn dcr müchtigste

Zo
 
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