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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1900)
DOI Artikel:
Bartels, Adolf: Kunst und Wissenschaft als Völkerwertmesser
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0258

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Ikunst und Missenscbatt als Völkerwertmesser.

Als echter Deutscher, getreu den Ueberlieferungen unsrer kosmo-
politischen Bildung, habe auch ich eine Zeit lang die Völker nur nach
Maßgabe ihrer künstlerischen und wissenschaftlichen Leistung geschätzt, die
politischen und wirtschaftlichen wenn auch nicht ganz übersehen, doch für
minder wichtig gehalten, den Dichter und den Denker über den That-
menschen gestellt. Die Logik, die dieser Anschauung zu Grunde liegt, ist
ja in der That auch verführerisch genug: Auf dem Gebiete der Kunst
und Wissenschaft, namentlich aber auf dem der Kunst liegen die
bleibenden Leistungen eines Volkes, die, welche immer wieder un-
mittelbar, wenigstens in ihren Höhepunkten ewig neu und frisch wirken,
während die politischen und wirtschaftlichen Gestaltungen nur für eine
begrenzte Zeitdauer ihre volle Bedeutung behalten, dann einer Um-
bildung unterliegen, endlich gänzlich verfallen, oft spurlos verschwinden,
sodaß nur noch die Geschichte, die ja aber die Macht der vollen Lebens-
erweckung nicht hat, von ihnen berichtet. Alles reale Leben geht zu
Grunde, auch der größte Thatmensch wird schattenhaft, das adelige
Abbild des Lebens aber in der Kunst und damit auch der Geist seines
Schöpfers besteht. Das ist unbestreitbar. Die Folgerung aber, daß nun
das Leben der Völker auf die Hervorbringung künstlerischer und wissen-
schaftlicher Werke einzurichten sei, darf man nicht daraus ziehen: das
Leben ist das Erste und hat an und für sich Wert, die Kunst (und auch
die Wissenschaft) ist das Zweite, das Abgeleitete oder, wenn man lieber
will, eine seinere Form der Lebensbethätigung, die nur auf Grund vor-
handenen Lebens möglich ist. Man denke sich das politische, soziale,
wirtschaftliche Leben weg, und die Kunst hat keinen Jnhalt mehr, denn
sich selbst zum Jnhalt machen kann sie nicht. Das kann höchstens eine
rein rationalistische Philosophie, aber wir wissen ja auch, wie weit die
gekommen ist. Um ein altes Bild wieder einmal zu verwenden: Die
Kunst ist die Blüte am Lebensbaum, man kann sie nicht künstlich her-
vorbringen, man kann kaum günstige Bedingungen für sie schaffen, man
kann erst recht nicht von ihr leben. Das sind fast Gemeinplätze, aber
man muß sie immer wieder aussprechen, da die teleologische Auffassung,
als ob Kunst und Wissenschaft der „Zweck" der Menschheit sei, immer
wieder hervorbricht. Danach, welche „Aufgabe" die Giraffe und das
Stachelschwein in der Natur erfüllen, fragt man heute nicht mehr, die
Völker und ihr Thun und Treiben müssen sich aber immer noch nach
gewissen Zweck- und Nutzenfragen, nach ihrer Bedeutung für die Ent-
wicklung der Menschheit, im Dienste der Humanität u. s. w. beurteilen
und unter Umständen schuhriegeln lassen. Jch leugne nicht, daß große
Unterschiede da sind, datz zuletzt das Volk die höchste Bedeutung für die
Nachlebenden (das ist hier die „Menschheit") hat, welches das regste und
vielseitigste geistige Leben entwickelt hat, aber zunächst hat doch wohl
jedes Volk einmal das Recht zu leben, sich auszuleben, und man kann
noch nicht von einem verfehlten Leben reden, wenn der geistige Ertrag
nicht besonders groß ausgefallen ist, die Erbschaft, die es hinterließ,
nicht sonderlich bedeutend war, — falls es sich nur selbst in seiner Haut
wohl sühlte und der großen Mehrzahl seiner Jndividuen ein glückliches,
noch besser: ein stolzes, starkes, freies Dasein ermöglichte. Es liegt mir
Runstwart

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