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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1900)
DOI Artikel:
Volbach, Fritz: Die Zukunft unserer Chormusik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0108

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Die Lnkunkr unserer Lborinusik.

Motto:

LaHt urwerzagt uns vorwärts schrcitcn:

Es schluinmern in den goldnen Saiten

Noch unbckanntc Krästc niel.

Fr. Schlcgel.

Wic einst den Gottes-Garten, so durchziehen auch das Edcn unserer Ton-
kunst zwei gewaltige Ströme krystallklarcn Wassers. Sie bildcn den Grund
alles LebcnS und Blühens; wo sie sließen und dcn Boden tränken, da ist
fruchtbares Erdreich, da herrscht Segen und Heil in Fülle. Wie dic beidcn
Ströme heißcn? Wic anders als Bach und Händell Wer von unseren
großen Meistern hat nicht aus ihncn geschöpft, ist nicht durch sie gekräftigt und
gestärkt zur Sonnenhöhe dcr Kunst emporgestiegen? So groß aber der Einflus;
Bachs und Händols auch im allgemcinen, nach allcn Nichtungen der Kunst
hin erscheint, am fühlbarsten ist er doch auf dem Gcbiete der Chormusik.
Natürlich, denn hier liegt ja bei beiden Meistcrn der Schwerpunkt ihrcs
Schaffens und ihrer Grötze. Mit vollem Recht erblicken wir in don großen
Chorwerken Beider die Krone ihrer Schöpfungen. Dio hier niedcrgolegtcn
Grundsätze und Jdeen sind treibend geblieben bis in unsre Zeit, und nur im
Hinblick auf sie wird es möglich sein, eine Richtschnur sür die Zukunft der
Chormusik, vor allem des Oratoriums zu gewinnen.

So sehr wir gewohnt sind, dic Namcn Bach und Händcl in cinem
Atem zu nennen, so sehr vcrschicden sind doch die Bahnen Veider. Sic haben
eigenllich gar keine Berührungspunkte, wohl abcr ergänzen sic sich und um-
spannen miteinander das Gesamtgebier der Kunst. Bachs Chormusik ist — um
gleich hier den Hauptunterschied festzulegen — durchaus aus dem kirchlichon
Geiste, wir können geradezu sagen aus der Liturgie entsprungcn, Händels
grosze Chorwerke dagegen sind fast alle wcltlichcr Art, haben nichts mit der
Kirche unmittelbar zu thun. Den liturg isch -kirchlich e n Charakter tcilt
die Bachsche Musik vollständig mit der Palestrinas und seiner Zeitgenossen.
Wie grundsätzlich verschieden aber dabei die Richtung beider ist, werdcn wir
aus Folgendem ersehen.

Eine Palestrina-Messc wird nur dann zum höchsten Kunstwerk, wenn
sie in engstcr Verbindung mit derheiligcn Handlung auftritt, aus dieser
gewissermatzen herauswächst. Die Hauptsachc bildet nicht dic Musik, sondern
dic Handlung, als deren Brennpunkt üio Menschwerdung dcs Gottessohns er-
schcint. Von diesem Brennpunkt aus soll sich die Musik gcwissermaßen wie Licht-
strahlen in aller Herzen senken. Bis zum Savctus ist cine stäte gewaltige
Steigcrung, die hier den Gipfel errcicht. Nun plötzlich tiefes ernstes Schweigen,
cin anbetungsvolles Versenken, während sich das erhabne Mystcrium auf dcm
Altare abspielt. Wie auf dem herrlichen Bilde Rafaels Cäcilia dcs cigenen
Spiels ob der himmlischen Lieder der Engel vcrgißt, so auch hier der Meister.
Die gcheimnisvolle Stille dcr Wandlung wird geradezu zu verklärter und be-
redter Musik. Zart und übcrirdisch leitet dann das lieveäictus zurück auf die
Erde. Jn diesem Sinne sind die Messen unserer großen alten Meister gedacht
und selbst (die beiden Höhenpunkte unsrer Kunst) Beethovens v-äur-Messe und
Bachs ll-moll find von diesem Geiste durchweht. — Besondcrs Palcstrinas
Messen wird man in ihrem Gehaltc erst dann verstehen, wenn man sie im
Zusammenhang mit dcr Handlung auffaßt. tzier ist auf kirchlich religiüsem
Kunstgebiete die Aufgabe in herrlichster Weisc gclöst, dic Wagner vom Mnsik-
Runstwart
 
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