Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1900)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Können wir reisen?
DOI Artikel:
Bartels, Adolf: Marie von Ebner-Eschenbach: geb. am 13. Sept. 1830
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0407

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Und dagegen sollten vor allem wir Kunstfreunde wirken. Denn
wer nur die Kirchen und Museen durchläuft, mng seinen Besitz an Kennt-
nissen vermehren, für das Verstehen der zur Kenntnis genommcncn
Kunstwerke thut er gar nichts. Wer nicht der Landschaft um Paris in
ihren Eigentümlichkeiten nachgeht, kann nie einen Bastien Lepage in
seinem Wesen begreifen, wer die Franzosen nicht auf dem Felde be-
obachtet, nie so recht cinen Millet, wer sic nicht bei ihren Vergnügungcn
sieht, nie einen Watteau, und entsprechend ist es mit Rubens und Rem-
brandt, Rafael und Michelangelo und allen Großen. Denn alle wuchsen
aus dem Leben, also aus dem Eigentümlichen des Volkes heraus, zu
dem sie gehörten, war auch diese Eigentümlichkeit für ihre gestaltende
Persönlichkeit nur Rohstoff. Auch das ist bekannt wie ein Gemcinplatz,
und doch ist es wahr, daß die große Mehrzahl sclbst dcr „kunstbeflissenen"
Reisenden „ihr Pensum erledigt" glaubt, wenn sie die „Sehenswürdig-
kciten" beschaut hat. Da bleiben denn freilich auch die fremden Kunst-
werke den meisten durchaus „Papier". Unsre ganze papierne Bildung
sorgt dafür, daß sie das nicht empfinden. Läg es anders, es träte auch
hier überraschend schnell die Wechselwirkung ein, daß Leben und Kunst
gegenscitig ihr Berständnis erleichterten und vertieften. Der im Beob-
achten Geübte brauchte auch viel weniger „Sehenswürdigkeitcn" abzulausen
zu eincm guten Ergebnis, er würde überhaupt viel „schneller reisen", weil
ihm das schnellere Finden des Wesentlichen mit der Kraft auch Zcit
ersparte.

Jch komme auf die Einscndung für unsern Sprechsaal zurück, die
ich am Ansang dieser Betrachtungcn einschaltete. Auch nach meinen Er-
fahrnngen trifft das dort Gesagte zu. Aber die Gründe dieser Erschei-
nung scheincn mir allgemcincrer Natur, als daß wir sie mit kurzer Klage
abfertigen dürften. Auch sie weisen entschieden darauf hin, wie wenig
wir das Reisen verstehn. Von dem sür uns Deutsche Hocherfreu-
lichcn, das neben diesem Unerquicklichen cin Durchwandern der Pariser
Ausstellung ergibt, sprechen wir im übernächsten Hefte. Aber rcisen
künnen schr viele von uns wirklich nicht. Und das Reisen lehren kann
uns kein Spezialunterricht, das kann uns allein eine Erzichung, die
wenigcr auf das Füttern und mehr auf das Bilden der geistigen Organe
ausgeht. 2l.

/idurie von Lbiler-LscUenbael).

Geb. am Tept. 1850.

Gelegentlich habe ich Marie von Ebner-Eschenbach nebcn Annctte von
Drostc-Hülshoff, Deutschlands größte Dichterin, gcstellt, aber ich habe es nur
gethan, um die Bedcutnng der Erzählerin scharf hervorzuheben. Gemcin haben
das ivestfälische Landfräulcin und die österreichische Feldmarschallleutnants-
gattin cigentlich nichts, außer daß sie beide Aristokratinnen sind- Aunctte ist
durchaus norddeutsche Natur, gläubig-katholisch, Freundin der Einsainkcit, als
Dichterin vor allem Temperament, auch in ihrem Vorhältnis zur Natur glühend
hingebend, nicht etwa Malerin des »rlcinen um des Kleincn willcn, ivie man
es neucrdings hingestellt hat. Marie von Ebner-Eschenbach dagegcn verleugnet
riie die oicl weniger schroffe und abgeschlossene Oesterreicherin, steht durchaus
auf dem Boden der Gesellschaft und der modernen Weltanschauung, die ja

I. Sextemberheft tdoo
 
Annotationen