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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 19 (1. Juliheft 1900)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0266

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Lose Mätter.

Olynipischcr Frühling

von Carl Spittoler.

Vorb emerkung. Das Folgende ist ein Vortrag, den Spitteler über
sein eben bei Diederichs in Leipzig erschienenes neues Werk „Olympischer
Frühling" in Neuveville vor einem überwiegend sranzösisch sprechendcn Leser-
kreise gehaltsn hat. Da eine Kritik der Dichtung sich hier im Kunstwart ver-
bietet, wo Spitteler ständiger Mitarbeiter ist, wollen unsre Leser das Folgende

als eine Art Selbstanzeige mit Proben betrachten.

*

Nehmen wir einmal an, in die geschäftige Pariser Romanfabrik (zu 3 Fr.
so das Stnck) würde plötzlich ein olympisches Epos in gereimten Alerandrinern,
hineinschneien, waS würde wohl geschehen? Nun, es würde ungefähr ge-
schehen, was geschehen soll: Frankreich würde angenehm erstaunt zu dem
Mutigen aufschauen. „llwvs! Venus: Jupiter? Calchas? unsere alten trauten
Bekannten? Ei sieh doch! Ein Epos! Ah! Das wäre ja das denkbar
Höchste! Aber freilich auch das Schwerste. Gereimte Alexandriner? Nun,
das versteht sich von selbst, denn dem edlen Stoff gebührt die edle Form. Es
kommt nur darauf an, wie die Alexandriner sind." Hernach würde man mit
gespannter Aufmerksamkeit das Werk prüfen zwischen Hoffen und Zagen. Mit
Jubel, wenn es die Prüfungen besteht, mit ehrerbietigem Bedausrn, wenn
sich der Verfasser seiner kühnen Ausgabe nicht gewachsen zeigte. Nicht wahr?
Das würde geschehen. Und das scheint Jhnen sogar selbstverständlich, so daß
Sie sich kaum vorzustellen vermöchten, was sonst geschehen könnte. Gut.

Nehmen wir aber jetzt den Fall, dasselbe Phänomen ereigne sich in der
nicht minder fleißigen Berliner Romanfabrik (zu sechs Mark das Stück oder
auch acht Mark). Was meinen Sie, daß dort geschehen würde? Strengen
Sie sich nicht unnütz an. Sie erraten es doch nicht. Zunüchst würde man sich
unter der Hand in schonender Weise nach den Gesundheitsverhältnissen des
Verfassers erkundigen. Ob ihn die Heimatbehörde frei herumlaufen lasse, ob
er etwa erblich belastet wäre und dergleichen. Lauten wider Erwarten die
ärztlichen Zeugnisse günstig, so heißt es, „Gottlob, es ist nur ein vorüber-
gehender Anfall. Demnach können wir immer noch hoffen, daß er uns das
nächste Mal wieder etwas Vernünftiges, Menschenmögliches schreibe." Und
damit wandert das Werk in den Papierkorb, ungelesen und ungeprüft. Ver-
gebens ereifert sich der Verfasser: „Aber meine Herren, so prüfen Sies doch
zuerst, ehe Sies in den Papierkorb werfen." — „Haben wir gar nicht nötig,
Gehen Sie heim und studieren Sie Jhren ästhetischen Katechismus." — Ein
Epos heutzutage schreibt man nicht, mythologische Personen interessieren uns
nicht. Ein Epos reimt man nicht. Alexandriner wolle man nicht. Punktum:
in den Papierkorb! Jm schlimmsten Fall, wenn der Name des Verfassers es
durchaus erfordert, geht auch wohl einer oder der andere verdrossen an die
Lektüre. „Na, ich weiß zwar zum voraus, daß es nichts taugt, aber man
kanns ja immerhin ansehen". Wie es aber mit der Prüsung steht, wenn der
Prüfende zum voraus weiß, daß es nichts taugt, kann man sich denken. „Nun
ja, es sind ja meinetwegen einige ganz nette Einzelheiten darin, aber als
Ganzes ist das Werk durchaus verfehlt. Denn ein Epos schreibt man nicht,
mythologische Personen interessieren uns nicht u. s. w. Also bleibts dabei: in
den Papierkorb."

Kunstwart

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