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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 24 (2. Septemberheft 1900)
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Rundschau
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Unsre Noten und Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0487

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kenntnis des Lebens sühren, so rnutz
er selbst durch das Leben zu seiner
Kunst kommen.

Die wenigsten Künstler wissen, was
es bedcutet, eine Jdee zu haben. Gäbe
man eincm Durchschnittskünstler des
Glaspalasts dcn Auftrag, eine Land-
schaft mit Eichcn zu malen, so würde
er aus seinen Studien eine beliebige
Landschaft zusammenstellcn, in der
unter Anderem sich auch Eichen befänden.
Das Genie dagcgen würde von dcm
Wort „Eiche" wie von eincm Zauber-
stabe berührt. Sein Blut und Gefühl
wird in Wallungen versctzt, deren
Rhythmus dcmjenigen der markigen
Formcn eincs Eichbaumcs entspricht.
Das Lcben der Eiche hat Anteil am
Schlage scines Pulses. Solche Em-
pfindungen setzen die Phantasie in
Bewegung, und plötzlich tritt die Er-
schcinung von drei mächtigen Eich-
bäumen vor den Künstler in einer
Gruppierung, die niemand zuvor ge-
schaut. Das ist die Jdec des Kunst-

werks. Die Baumgruppe schwebt bald
näher, bald ferner, sie schwebt in dcn
vorgeschriebcnen Nahmen des Bildcs,
schwankt nach rechts und links, nach
oben und unten, bis sie stillsteht an
der Stelle, an dcr dic drci Eichbäumc
den gegebenen Raum souverain be-
herrschen, sodatz inan schon aus weiter
Ferne sie als das Wesentliche des
Bildes erkennen muß. Diese Stellung-
nahmc verjüngt nicht nur die Form
der drei Eichen, sondern die der ge-
samten Landschaft. Wiewohl ihr nur
wenig Raum unter dcn Blättern der
Bäume gegönnt ist, erscheint die Ferne
erstaunlich reich und zaubrisch vcr-
lockend, weil sie in Gcgensatz zu eincm
mächtigcn Vordergrund tritt, dor sich
aber dadurch geistig mit ihr vcrbindct,
datz er uns hilft, jencn grünen Streifcn
am Horizont in eine Arinee von Baum-
riesen aufzulüscn, die den drei Eichen
des Vordergrunds ähneln. So läßt
sich Stoff und Form einigen.

Lothar von Aiinowski.

Nnsre Ooren und Wiider.

Von unsern Bildcrn zeigt das erste die kleine Nictzschc - Statuctte,
wclchc der Drcsdncr Bildhauer Arnold Kramcr vor dem Krankenstuhl
des Denker-Dichtcrs gesormt hat. Vielleicht weht aus der Abbildung doch noch
ein leiser Hauch der tiefelegischen Poesie hervor, die in dcm feinen Wcrke des
Künstlcrs atmet. — Unser zwcites Blatt gibt eine Anzahl deutscher Fürstenstand-
bilder aus der Innsbruckcr Hofkirche. Was sollen uns diese altcn Herren, fragt
vielleicht dcr odcr jcncr Lcser,habcn sie irgendwelche Beziehung zur Kunstpflege von
heutc, dcr doch der Kunstwart gcwidmct ist? Zum mindesten in cincr ganz be-
stimmten Richtung könntcn wir sicherlich von ihnen lcrnen. Wie schlicht und natür-
lich stehen dicse Männer hicr vor uns, ohne jede grotze Geste, ohne jedes bedeutende
Blickewerfen, und auch in dcn Formen ihrer Angesichter augenschcinlich ganz, wie
sie dcr Herrgott gcschaffcn und wie das Lcben fie bearbcitet hat. Und das,
trotzdcm sie nicht ctwa kleine Rittersleute, sondern autzcrordentlich vornehm
grvtze Hcrrcn sind. Wir wünschten, man behiclte das Bild dcr vier im inncrn
Gcsicht, wcnn man Fürstcnstandbilder oder Fürstenporlräts von hcute ansieht
— vicllcicht, datz dies manchcm zcigte, welch' lächcrliche Poscrci jetzt zumal in
unser osfizicllcs Bildnis-Malen und Modclliercn gekommcn ist. Dic Mehrzahl
unirer Fürstcnbildnissc zcigcn uns ja gar keine Fürsten mehr, sondcrn Komö-
dinntcn, die in Thcatcrmaskcn Fürstcn agicren, mit dcn Bildnissen hohcr und
allcrhüchstcr Damcn aber ist's noch schlimmer bestcllt, denn die crinnern oft
gcradezu an die lächclnden Wachsbüslen in Friseurschaufcnstcrn. Von oben
särbt dicscr Gcist nach untcn ab, der Hof macht's dcn Hoheiten nach, dcr Bör-
siancr dem Hof, cin allgcmcines Süß-Malcn und Bcdcutend-Machcn cntsteht,
wo übcrhaupt porträtierl wird. Nur Künstler hohen Nanges künnen der Mode
widcrstehcn, auch sic nicht immer und nicht ganz. Datz ein Bildnis „günstig"
sei, wird übcrall als selbstverständlich gcsordert. — Aber was i st denn „günstig" ?
Wir müsscn wicdcr dahin kommcn, datz uns ein Mcnsch und scin Bildnis wegen
des Bcsondcrn intcrcssicrt, das gcrade ihm eignct, nicht wcgcn dcs allgc-
mcinen billigen Reizes regelmätziger sür hübsch gcltcnder Formen odcr sür
gcistrcich geltcndcr Miencn, üie jeder Mime oder jede Schauspiclerin halbwegs
nachmachen könntc. Der Rcspekt vor der Wirklichkeit und der Ncspckt vor dem

2. Scptemberhest >goo

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