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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 24 (2. Septemberheft 1900)
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Musikgeschichte, [3]
DOI Artikel:
Die klassische Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0460

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vorliegen, aus späteren Bearbeitungen erfolgen, in denen die Melodie
mit kontrapunktischen Nebenstimmen umkleidet ist. Die allmähliche Ent-
wicklung dieser mehrstimmigen Musik kurz zu erläutern, wird Aufgabe
des nächsten Abschnitts sein. Georg Göhler.

Die klrkssiscde Ikunst.

Schluß.

Wir geben schließlich als Proben von Wölfflins Darstellungsweise noch
zwei größere Stellen daraus wieder. Dic eine gibt dcn oben erwähnten Ver-
gleich zwischen Verrocchios und Sansovinos Taufe Christi, die andere ist die
Würdigung des Lionardoschen Abendmahles.

,Das Cinquecento setzt ein mit einer ganz neuen Vorstellung von mensch-
licher Größe und Würde. Alle Bewegung wird mächtiger, die Empfindung
hat einen tiesern leidenschaftlicheren Atemzug. Man bcobachtet ejne allgemeine
Steigerung der menschlichen Natur. Es bildet sich ein Gefühl aus für das Be-
deutende, für das Feierliche und Großartige, dem gegenüber das lZ- Jahr-
hundert in seiner Gebärde ängstlich und befangen erscheinen mußte. Und so
wird denn aller Ausdruck umgesetzt in eine neue Sprache. Die kurzen hellen
Töne werden tief und rauschend, und die Welt vernimmt wieder einmal das
prachtvolle Rollen eines hochpathetischen Stiles.

Wenn Christus getauft wird — sagen wir: bei Verrocchio — so geschieht
es mit einer dringlichen Hast, mit einer ängstlichen Biederkeit, die sehr ehrlich
empfunden sein mochte, die aber dem neuen Geschlecht als gemein vorkam.
Man vergleiche mit dem Taufbild Verrocchios die Gruppe des A. Sansovino
am Baptisterium. Er hat etwas ganz Neues daraus gemacht. Der Täufer
tritt nicht erst hinzu, er steht da, ganz ruhig. Die Brust ist uns zugewendet,
nicht dem Täufling. Nur der energisch seitwärts gedrehte Kopf geht mit der
Richtung des Armes, der weitausgestreckt die Schale über dem Scheitel Christr
hält. Kein besorgtes Nachgehen und Sich-Vorbeugen, lässig zurückhaltend wird
die Handlung vorgenommen, eine symbolische Handlung, deren Wert nicht in
der peinlich exakten Ausführung besteht. Der Johannes des Verrocchiv beugt
sich vor wie ein Apotheker, der ein Tränklein in die Flasche gießt, ängstlich
besorgt, daß kein Tröpflein daneben gehe; das Auge folgt hier dcm Wasser:
bei Sansovino ruht sein Blick aus dem Antlitz Christi. *

Von Fra Bartolommeo findet sich unter den Handzeichnungen der Uffizien
ein ganz übereinstimmender Entwurf zu einer Tause im Sinne des Cinguecento.

Und gleicherweise ist nun auch der Täufling umgebildet, er soll ein
Herrscher sein, nicht ein armer Schullehrer. Unfest steht er bei Verrocchio im
Bach und das Wasser umspiilt scine mageren Beine. Die spätere Zeit läßt so
wie so das Stehen im Wasser beiseite, indem sie nicht die Klarheit der Figuren-
erscheinung dem Gemein-Wirklichcn opfern mag, das Stehen sclbst aber wird
frei und vornehm. Bei Sansovino ist es dic schwungvolle Pose mit dem seit-
wärts abgesetzten Spielbein. Statt der eckigen zcrhacklcn Bowegung entsteht
eine schöne durchgehende Linie. Die Schultern sind zurückgenommen und nur
der Kopf ist um ein weniges gesenkt. Die Arme liegen gekreuzt vor der Brust,

* Die Schale bei Sansooino wird fast flach gehaltcn. Früher gibt man
mit archaischer Deutlichkeit die umgestürzte Schale und Bellini etwa läßt den
Jnhalt bis auf den letzten Rest abtropfen (Bild in Vicenza).

Aunstwari
 
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