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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 19 (1. Juliheft 1900)
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Optik und Naturgenuss
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0264

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GptLK und Oaturgenuss.

Der Erwachsene hat ein unbewußtes, aber darum doch recht starkes Miß-
trauen gegen allen Naturgenuß, der sich künstlicher Mittel bedient. Aussichts-
lauben mit sarbigen Fensterscheiben gibts nur noch, wo es Kinder gibt, und
die LLINSI-L obsourL auf dem Schützenplatz wird auch nur von der Jugend
oder von Leuten besucht, die man in ästhetischen Dingen jenseits von Gut und
Böse zu vermuten pflegt. Wir wollen Leben und empfinden die Abstraktionen,
die jene Borrichtungen bewirken, als Einseitigkeiten und damit als Unnatur.
Aber sonderbar, je mehr wir die Augen bilden, je mehr werden wir geneigt,
bei farbigen Scheiben und Q-uneru obscurs. nicht ausnähmslos zu „verdammen".
Sie geben Abftraktionen, Einseitigkeiten, ja, — abcr auch Gemälde odcr gar
Zeichnungen geben Abstraktionen, stellen nur bestimmte Seiten des Naturein-
drucks dar- Das Stimmen auf eine Farbe, das wir ja z. B. in vielen photo-
mechanischen Techniken doch ganz ähnlich anwenden, hat auch bei den bunten
Scheiben Reize, die zum mindeften interessant sind, und von einer Lamero
obscuro könnten bisweilen sogar die Kopenhagener Porzellanmaler lernen, wenn
sieein bestimmtes Naturbild oft ganz merkwürdig weich und zart in Massen und
Töne auflöst. Auch das ist zum mindesten intercssant, aber es erweckt unbestreit-
bar auch Schönheitsfreude. Schaltet man bestimmte Gruppen von Eindrücken
aus, so lernt man die andern mit besserer Sammlung sehen. Wir werden den
nach wie vor auslachen, der angesichts eines schönen Stückes Welt sofort hinter
die rote Scheibe oder in die Camera-Bude läust, aber wir werden auch solche
Dinge gelegentlich nicht zu gering schützen, um unscr Auge zu üben, unsre Ein-
drücke zu bereichern und unser Bewußtsein von all dem zu klären.

Noch zu wenig beachtet als Hilfsmittel des ästhetischen Naturgenusses
sind die Ferngläser. Den Mond auch nur durch ein bescheidenes Handfernrohr,
ja, nur durch ein gutes Opernglas zu besehn, gewährt, abgesehen vom sonstigen,
auch einen außerordentlichen ästhetischen Genuß. Schon rein sinnenfällig ist
dieses silberne Lichtspinnen da droben entzückend schön, also schon dann, wenn
man den „assoziativen Faktor" all des poetisch Reizvollen dabei ganz aus dem
Spiele läßt. Man denke serncr an das Auflösen etwa der Milchstratze oder
der Plejadengruppc in eine Unzählbarkeit von zurückgehalten-erhabenen Fern-
leuchten. Und wie das Teleskop, so erschließt das Mikroskop Einblicke in kleine
ästhetische Zauberreiche. Das Zellengewebc der Pflanzen ist schon von mannig-
saltigstem Reiz, der Körper jeden Schmetterlings vom Saugrüssel bis zum
Flügelstaubschüppchen zeigt Schönheit neben Schönhcit, bei allen Jnsekten steht
es so, und dann kommen die kleineren unter den kleinen, bis zu den Diatomeen
und den sonstigen allerkleinsten hinab. Aber auch die größern Tiere und dann
wieder die Minerale mit den Krystallen, wie viel Entzückendes verbergen sie
dem bloßen und enthüllen sie dem bewaffneten Augel

Seltsam, gerade für jene Dinge, die dem astronomischen Fernrohr zu
nah und dem Mikroskope viel zu groß und fern sind, fehlte bisher ein be-
friedigendes Jnstrument für den ästhetischen Genuß. Man konnte sich dcm
Monde am Himmel und dem Jnfusionstier im Wassertropfen mit Gläsern als
Schönheitsfreund nähern, aber der Berg dort drüben oder die Schlucht dort
hinten, deren unser freies Auge sich immerhin doch schon freute, an sie konntcn
wir durch Gläser mit ästhetischem Gewinn nicht heran. Denn war der
Gegenstand nur einigermaßen groß odcr nahe und die Vergrößerung nur
einigermaßen stark, so störte ein schwerer Uebelstand: die Kleinheit des Ge-
Auustwart
 
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