Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1900)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Johann Sebastian Bach
DOI Artikel:
Nachträgliches zur Gutenberg-Feier
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0295

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Musik an ihm, sagt man, und so, wie mans sagt, ist's — eine billige
Phrase. Natürlich lieben wir nns mit Mephistopheles die frischen rotcn
Wangen, aber wenn unsere Zeit krank und unsere Künstler krank-
haft sind, dann ist's eben Folge der Wahrhastigkeit, daß auch unsere
Kunst sich mit pathologischen Elementcn durchsetzt. Mit eincm Kranken,
der thut, als ob er gesund wäre, weil man ihm sagt, das neueste
Schlagwort der Kunstmode ist „Gesundheit", mögen wir ebensowenig zu
thun haben, als mit dem Gesundcn, der dcn Kranken schauspielert, weils
gerade so die Sitte bringt. Da ist eine Lüge und Affektion der andern
wert. Wenn jcne Phrase einen Sinn haben soll, dann darf es nur der
sein: laßt euch, ihr Gesunden, nicht irre machen, bleibt euch sclber
treu und holt euch als Tröster und gewaltigen Beistand unsern großen
Meister Bach. Uebrigens ist das, was man von seiner Ruhe und
Mäßigung insgemcin rühmt, eine fromme Fabel. Es gibt nichts auf-
gercgtercs, als viele Bachische Fugen mit ihrer unersättlichen Regsamkeit
und ihren mitunter ganz naturalistischen Schreien oder als viele Bachische
Choräle mit dem atemlosen Schritt ihrer Mittelstimmen, nichts höher ge-
steigertes, Explosiveres im Ausdruck, als viele Bachische Rezitative z. B. in
der Matthäuspassion. Hüten wir uns darum, in dem Meinungskampf des
Tages mit ästhetischen oder historischen Halbwahrheiten auszutrumpsen. So
gewaltige Künstler und umsassende Naturen wie Bach können nicht mit
ein paar Kennworten festgelegt und abgestempelt werden, sie steigen auf
alle Gipfel und tauchen in alle Abgründe des Daseins: wer wagt cs,
ihnen aus den Kopf zu sagen, ob sie Höhen- oder Höhlenmenschen sind?
Auch Bach ist kein Maßstab sür andere Große, dcnn alles Großc ist
nach seiner Art und läßt sich nicht mit dcr Ellc messen; Bach ist auch
kein Moloch, dcm wir, um ihn zu ehren, alle nachkommenden Tondichter
schlachtcn und opfcrn müßten; Bach ist nicht einmal cin unmittelbar
nachzuahmendes Muster, denn cr hat die Felder seiner Thätigkeit nicht
bloß bestellt, sondern auch die ganze Ernte gemäht nnd eingeheimst, so
daß seinen Nachfolgern auf diesen Gefilden nur ärmliche Nachlcse
übrig bliebe. Aber eine wunderbare, unvergleichliche musikalische Jn-
karnation deutschen Fühlens, eine überragende, geniale, vom Scheitel
bis zur Sohle echtc, kernhafte Persönlichkcit ist er, und darum müsscn
wir auf ihn stolz scin, dürfen wir ihn lieben und sollen wir sein un-
meßbares künstlerisches Erbe — soviel ein jeder kann — erwerben, um
cs zu besitzen. Er ist wie ihn Schumann bezeichnete: der rechte Zu-
kunftsmusiker, kein durch die Zeit entthronter König, sondern ein König,
der neben andern Königen noch lebt, ein König, dessen Reich cine weite,
große Welt der Musik umschließt heute wie einst. Glücklich, wem die
Thore offen stehcn zu seiner Herrlichkeit! Richard Batka.

Ollcdträgllcbes zur Gutenberg-zfeier.

Um die Gutenberg-Feier, dercn Zeugen wir waren, stand es doch
eigentlich sondcrbar. Man feierte den fünshundertstcn Gcburtstag Guten-
bergs, der eigcntlich nicht Gutenberg hieß, an einem Tage, der nicht
der Geburtstag war, in einem Jahre, von dem man nicht wciß, ob es
scit jenem Geburtsjahre das fünfhundertstc ist. Das alles betrifft nur
Aeußerlichkeiten, und auch wann Hans Gensslcisch seine Erfindung ge-

2. Inliheft ll>oo
 
Annotationen