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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 20 (2. Juliheft 1900)
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Batka, Richard: Johann Sebastian Bach
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0294

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Formfestigkeit. Sehr hin, verkünden sie mit erhobenem Finger, der
hat's nicht nötig gehabt, die Formen zu zerbrechen, der hat auch in der
überlieferten Weise Nenes nnd Bcdeutsames zu sagen verstanden. Nun,
da wär's ja recht an der Zcit, sie zu überführen, daß nicht dic Formen
den großen Vach ausmachen, sondern der Geist — tadcllose, ja meisterhafte
Fugen konnten die Kirn-, Albrechts- und Nheinbcrger auch schreiben —
daß Bach so groß ist nicht durch seine Formen sondern oft trotz sciner
Formen, ja daß er, wenn der Genius in ihm schlief, wenn er die vor-
gebildetcn Formcn für sich tondichten und denken ließ, auch der Gcfahr
des Formalismus nicht zu entgehen vermochte. Von diesen Erzcugnissen
weiter viel Aufhebens zu machen, wärc freilich verfehli, da sür die
Beurteilung eines Künstlers nicht Parerga maßgebend sein dürfcn, sondern
jene Werke, in denen sein Schasten sich verdichtet und krystallisiert hat.
Ebenso wie nicht die Tadellosigkeit den großen Meister macht, wcil die
Kunst ein Positives ist, nicht in der bloßen Korrektheit, sondern in der
Kraft der unmittelbaren Anschauung und Gestaltung beruht. Diese Sntze,
die, so selbstverständlich sie klingen, in der Praxis doch immer wieder
vergessen werden, ließen sich am Beispiel Bachs gar trefflich erläutern
und befestigen.

Willkommen wären auch eingehende Erörterungen über das virtuose
Element in der Bachischen Musik. Es wäre zu zeigen, nüe die Konzeption
eines Tonstücks, die Erfindung des Themas und der allgemeine
Stimmungscharakter dem Bereich des Ausdrucks angehören, wie aber
die Durchführung und Entwickelung im Besonderen durch cin andcres
Momcnt bestimmt wird, welches die Musik vor ihren meistcn Schwester-
künsten voraus hat, durch das Moment der Spielfreude. Eiue ästhetische
Begründung dieses Moments ist vonnöten, die Grcuze sesner Berechtigung
abzustecken uud sein Wert gegen Ueber- und Unterschätzung zu bestimmen.
Es würde sich wahrscheinlich ergeben, daß die virtuose Musik zur Aus-
drucksmusik sich verhält, wie die Rhetorik zur Dichtkunst, daß sie eine
untergeordnete Gattung darstellt. Viclleicht liegt ihr größtes Uebel darin,
daß wir kein scharf kennzeichnendes Wort für sie haben, sondern den
Namen, der dem Kunstzweig im höchsten Sinne zukommt, gleichermaßen
ohne rcchte Unterschcidung auch auf sie anwenden. Gerade an Bach,
wo das Spielerische sich vielfach ganz naiv zum Selbstverguügen, ohnc
die verstimmende Absichtlichkeit des Blenden- und Verblüffen-Wollens
dargibt, läßt sich das Prinzip des Virtuosen viel klarer, sachlicher,
lcidenschaftloser in Erwägung ziehen. Ob man Bach auf dem :nodcrncn
Flügel spielen soll oder, da dies Professor Fleischer als einc Kunst-
barbarei betrachtet, eigene Klaviere nach altcr Art für seine Wiedergabe
anschaffen müsse, das wird den Aesthctiker weniger bekümmern als den
Jnstrumentenbauer. Ob Steinway oder Silbermann, das ist vorder-
hand erst eine Fragc für Hochschulseminare, für das Verständnis
des Wesentlichen dcr Bachischen Kunst aber ohne große Bedeutung.

Nicht ausbleiben werden endlich die Kunstdoktoren, die uns Bach als
Panazee gegen alles Musikübel der „Moderne" verschreiben wollen. Aber
dagegen sctzen wir uns zur Wehrc. Neulich las ich den wohlgemeinten
Rat, die Musik möge wiedcr zur Bachischen Einfachheit zurückkehren.
Bach und einfach! Nichts Komplizierteres als Bach! Aber dcrgleichen
wird gedruckt, und die Leute glaubens. Auch gesund wcrden svll unsere

Amistwart

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