Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1900)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0161

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Litcratur.

Nundschau

^ Vom „Uobcrwinde n".

Bei den Wiener Literaten
wird wieder einmal „übcrwunden".
Wie schrecklich hat man's dort dem
Kunstwart übel genommen, daß er
das Kranke in der pseudomodernen
literarischcn Nervenreizerei hervor-
hob, man war so stolz auf dieses
Kranke, daß man vom Kunstwart mit
der ganz ernsthast gemeinten Begrün-
dung nichts wissen wollte, dcr sei zu
gesund. Es ist ja schwer zu glauben,
aber es ist wahr: wohl ein Duhend
mal sind wir dieser Erklärung als
einem Vorwurf begegnet. Und
jetzt? Eine Hauptzeitung der Dekaden-
tensclber,die„NeueFreie Presse",bringt
cinen Aufsatz von Hugo Garz, der sich
gegen die kranke Artistenkunst eben ihrer
Krankheit wegen wendet! Man lesc
einmal:

„Dars man schon den Leichenwagen
bestellen? Es wird wieder eine Kunst
zu Gr«be getragen; heute noch nicht,
aber bald. Atan braucht nur hinein-
zuhorchen in die Welt der Wenigen,
für die ein bedeutendes Kunstwerk cin
Erlebnis ist, und man hört bald hie,
bald dort das böse Wort, das schwcr
wio eine Grabsteinplatte über Einge-
sargtcs fällt — überwunden. Uebcr-
wunden ist die Kunst dcr Aestheten,
der Artisten, der Exklusiven, überwun-
den, wcil sie orkannt ist. Stark
und unwiderstehlich wie die Mo d e ist
einc Kunst, so lange das Häuflein Ser
Fühlenden glauben kann, daß sie zur
Höhe sühre, zum freien Ausblicke und
zur Bcfreiung von dcm lühmenden
Gefühle des Epigoncntums. Ueber-
wunden ist sie in dcm Moment, da
ihr Erwerb inventarisiert und da kon-
statiert ist, daß sie nicht in die Höhe,
sonderu in den Sumpf führt. Die
Korpbanten, die mit begeistertem Evoc
hintcr jedem Dionysos herziehen, ver-
stummen plötzlich. Eincr nach dem
andern schleicht aus dcm Zuge sort,

und bald ist der Gott allein, um in
irgend einer Destille oder in den Mau-
soleen der Kunstgeschichte zu enden.
Tas »Gesolge« ist immer undankbar.
Es wartet nicht einmal auf den neuesten
Gott. Es fällt ab, sobald dem alten
der Kredit verweigert wird .. . Was
war die Artistenkunst? Sie weist Lber-
all die gleichen Züge auf, müde, ent-
sagende, exklusive. Sie geht der derben
Wirklichkeit aus dem Wege, sie haßt
die Farben der Gesundheit, dem Kultus
der Natur setzt sie den des Widernatür-
lichenentgegen. Normale,ungebrochene
Empfindungcn sind ihr zuwidcr; sie
kann nur das Raffinierte, Exzentrische
und Sublime verwerten. Technische
Experimente sür die auserlesene Schar
der Kenner werden veranstaltet. Har-
monien sind banal; nur die Dissonanz
gilt als zeitgerecht. Das Aparte gilt.
Der Pspchologie der Perversen wird
nachgesxürt . . . Diese Kunst ist krank,
weil sie die Kunst der Kranken ist, und
ihre Wirkungen können nur krankhafte
sein. Das Naturwidrige ist zugleich das
Kulturwidrige, dic scheinbar Fort-
gesch rittensten sind nichts als
Bannerträger der Rcaktion!"

Freilich, geschätzte Herren, aber das
haben wir und auch noch andre Leute
von Ansang an gesagt, und ihr hattet
uichts dafür, als das erhabenenGeistern
ja so kleidsame berühmte matteLächeln.
Sollen wir euch nun plötzlich ernst
nehmcn, da ihr statt für ftädtische
Demimode euch wicder für gesunde
Bauernmädel umzubegeistern be-
ginnt? Hermann Bahr hat sich ja auch
schon sogar bis zur Heimatkunst durch-
„überwunden". Die werdet ihr nun
drei Jahr lang preisen und nachmachen
und dann „überwindet" ihr sie auch
wieder. Jmmer oberslächlichstes Herum-
tasten, weil niemals eindringender
Ernst der Sachlichkeitl Denn etwas
ernst nehmen, ach das ist ja „fad".
Jmmcr Mode und nichts als Mode,
2. lllaiheft 1900
 
Annotationen