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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1900)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Die Nebenwerte der Worte, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0137

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Die Oebenwerte der Morte. 1?'

„Worte sind Zeichen für Begriffe." Dieser Satz bcdarf in mehr als
einer Hinsicht der Einschränkung. Aber auch wenn man den Sinn des
Wortes „Begriff" so rveit faßt roie nur irgend möglich, gibt der Satz keines-
falls eine erschöpfende Definition. Worte sind noch anderes und mehr als
Zeichen für Begriffe. Sie enthalten Werte, die nichts mit Begriffen zu schaffen
haben, und das sind Werte, auf denen gerade die seinsten Wirkungen der
Sprache beruhen. Es empfiehlt sich, sie von dem gewöhnlichen, dem begriff-
lichcn Wortsinne abzusondern und ihm gegenüber zu stellen.

Der Mangel geeigneter und anerkannter Fachausdrücke erschwert zunächst
die Ausdrucksweise. Es erscheint auf den erften Blick widerspruchsvoll zu be-
haupten, daß Worte, die ganz offenbar „dasselbe" bezeichnen, einen verschiedenen
Eindruck auf den Hörer machen, daß Worte zwar gleichen begrifflichen Jnhalt
und Umfang, aber doch verschiedene Bedeutung haben. Aber die Thatsache
selbst ist sehr bekannt und alltäglich. Man vergleiche z. B. die sogenannten
„poetischen" Worte oder „vocLbul-r solemnia^ mit den entsprechenden des ge-
meinen Sprachgebrauchs, etwa „Leu" mit „Löwe". Wollte man die Jdentität
des Begriffsinhalts leugnen, so müßte man objektive Merkmale anzugeben
wissen, die wohl dem Lcuen zukommen, aber nicht dem Löwen, oder umgekehrt;
und wollte man die Jdentität des Begriffsumfanges leugnen, so müßten gewisse
Tierexemplare aufzusinden sein, die als solche, unabhüngig von der subjektiven
Auffassung und dem Zusammenhange, in dem man sie erwähnt, wohl als Leuen,
aber nicht als Löwen bezeichnet werden dürften. Man hört zuwcilen die naive
Erklärung, ein Leu sei ein „poetischer" oder auch ein Lesonders „edler" Löwe.
Danach wäre also Löwe der übergeordnete, Leu der untergeordnete Begriff.
Aber es würde wohl lächerlich wirken, wollte der Besitzer einer Schaubude zur
Besichtigung „neugeborener Leuen" einladen, und kein Mensch würde hier auf
den Gedanken kommen, die fraglichen Tiere sollten durch die Wahl der Be-
ncnnung als besonders „edle" Exemplare gekennzeichnet werden. Woher kommt
aber jene lächerliche Wirkung? Jm Klange allein kann doch dor verschiedene
Eindruck der beiden Worte nicht liegen; es gibt unzählig viele Fälle, wo der
Zusammenhang ebensowohl Leu wie Löwe zuläßt. Darf man also einen Unter-
schicd in der Bedeutung annehmen, oder soll man sagen, die Bedeutung beider
Worte sci zwar völlig gleich und nur der Gebrauch des Wortes Leu sei rein
zufällig odcr konventionell auf die dichterische Sprache beschränkt?

* Die folgenden Untersuchungen, die von bekannten einfachen Thatsachen
zu sehr wichtigen Schlüssen führen, sind unsrer Meinung nach für jcden, der
sich über unsre Literatur (das Wort im weitesten Sinne genommen) klar wer-
den will, von außerordentlicher Wichtigkeit. Sie sind abgedruckt nach dem
Manuskript cines demnächst bei Eduard Avenarius (Ad. Goldbcck) in Leipzig
erscheinenden Buches über die Bedeutung des Worts, das in um-
gearbeiteter und erweiterter Form auch einige Aufsätze aus den vergriffenen
alteren Jahrgängen des Kunstwarts enthalten wird. Was K. O. Erdmann,
dcr Vcrfasscr dcr bci Eugcn Diederichs in Leipzig erschiencnen vielgelobten
Essap-Sammlung „Alltägliches und Ncues" hier sagt, mag Manchem tcilwcise
„selbstvcrständlich" und tcilweise „nüchtcrn" erscheinen, -- cs beleuchtet Fragen,
über die zumal bei unsrer Kritik eine hcillose Konfusion hcrrscht, während Klar-
heit darübcr cine Mengc von Nebeleien und Mißverständnissen ganz unmöglich
machte. Größcro Klarheit übcr den Gebrauch dcs Worts ist eine Forderung
der intcllcktuellen, dcr ethischen und der ästhetischen Erziehung zuglcich. Das
rechtfertige dcn Abdruck dicser umfangreichen Studicl

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