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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1900)
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Avenarius, Ferdinand: Können wir reisen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0403

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Ikönnen wir reisen?

Von jemand, dessen Meinung gehört zu werden verdient, wird uns
das Folgendc geschrieben:

„Von jeher wurde an dcn Deutschen gctadelt, das; sie frcmdcn Einflüssen
allzuleicht zugänglich sind und alles Ausländische kritiklos bcwundcrn. Die
Pariser Weltausstellung gibt zu ganz anderen Beobachtungen Veranlassung.
Jch habe lange in Paris gelebt und habe diese Ausstcllung oft in Gesellschast
von gebildetcn Deutschen sowohl wie von gcbildeten Franzosen besucht. Ganz
typisch kehrte da oin Unterschied wieder, aber cr entsprach der oben erwähntcn
Meinung durchaus nicht. Die Franzosen gerade schätzten das Gute, wo es
sich ihnen darbot, sie fandcn nicht nur mit ihrem allgemein anerkannten ästhe-
tischen Feingesühl abseits von der banalen Marktware das künstlerisch Wert-
volle sicherer heraus, sondern sie machten mich in liebenswürdigster Weise in
der That auf das Beste auch aus meinem Vaterlande aufmerksam. Traf ich
aber mit Deutschen von derselben Bildungshöhe — nicht mit Fachleuten —
zusammen, so hörte ich immer nur das eine: »Nicht wahr, die deutsche Aus-
stellung ist doch wunderschönl« Und fragte ich so nebenher, ob die Herr-
schastcn dies und jenes Wertvolle in Augenschein genommen hätten, Tissany-
Gläser, Möbel und Gläser von Galls, Französische Poterien, norwegische
Tcppiche, japanische Stickereien, Schmuck von Lalique, SLvres-Porzellan — so
war die Antwort fast immcr entweder cin Nein oder ein sehr gleichgiltiges Ja.

Also wir kommen jetzt nach Paris, um uns zu bewundern. Und die
meisten thun das völlig kritiklos, ohne lehrreiche Vergleiche anzustcllen.
Gewiß, die deutsche Ausstellung ist hochbedeutend; sie ist es durch
das rege Streben, das sich überall kund gibt, das Kunstleben zu fordern,
unscrem Heim das wiederzugeben, was es in traurigen Zeiten verloron hatte:
gedicgcne künstlcrische Gestaltung und Schmuck, der Schmuck ist. Sie ist bc-
deutend durch das edle solide Gepräge, was das Deutsche in jeder Abteilung
sofort erkennen läßt. Jn der Jndustrie dürfte ihr sogar in der That der erste
Preis gebühren. Künstlerisch aber ist nicht alles »wunderschön«, denn das
Können bleibt oft hinter dem Wollen zurück. Es sind recht viel gute Anfänge
Runstwart Septemberheft ^900

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