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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 18 (2. Juniheft 1900)
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Erdmann, Karl Otto: Die Nebenwerte der Worte, [3]: Gefühlswert und Erkenntnissprache. Der Doppelcharakter des Aussage. Trägheit des Gefühlswertes
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Göhler, Georg: Musikgeschichte, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0225

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suggcriercn. Was gcltcn seine Urteile nebcn scinen leidenschaftlichen Beurtci-
lungcn? Was wäre Nictzsches Philosophie ohne seine „Falschmünzerei" und
dic „vermoralisierte Sprechwcise" seiner Prägung? Jnsofern steht cr immer
noch dem Moralprediger näher als dem Moralphilosophen.

Bei religiöscn und politischen Ergüssen, beim Ueberreden und Erzichen,
knrz überall, wo es sich darum handelt, auf den Willen des Menschen zu wirken,
ist dcr Doppclcharakter der Aussage von unschätzbarem Worte. Aber für kühle,
voraussetzungslose Untcrsuchungen ist er immer ein Hemmnis. Die Jnteressen
dcs Moralpredigcrs und dcs Moralphilosophen an der Sprache stehen sich feind-
lich gegenüber. Der Stil vermag viel. Aber völlig auszuschaltcn sind dic an
dic Worte gebundenen Wcrtc niemals: immcr wieder schleichcn sie sich cin, um
das Denken zu führen und zu verführen. Und das Streben, eine reinc, gcfühl-
lose Erkcnntnissprache zu schaffen, ist cbenso begreiflich, wie es aussichtslos ist-

Jm Ucbrigen streitet man ja selten genug um reine Erkenntnisse und
Einsichtcn, man kümpft um „Ueberzeugungen". Und ein tiefer Grund, dah
diese Kämpfe cbenso unvermeidlich wie erfolglos sind, licgt geradc darin, dah
Urteilc und Beurteilungen auf das innigste oerwachsen sind; so dah man an
einer Behauptung wohl dicses und jenes, nicht abcr alles widerlegen und be-
weisen kann. Unscre politischen und religiösen Glaubenssätze, unsere Kultur-
idealc und Lebensanschauungcn sind stets komplizierte Gewebe von Urtcilen
und Beurteilungen; sie sind hier das Ergcbnis objektivcr Einsichten und Er-
sahrungen, dort wurzeln sie in unserem Charakter und Temperament, im indi-
viducllcn Gcschmack, in unausrottbaren Sympathien und Antipathicn. Jnso-
sern aber cinc Ucbcrzcugung aus dem Kern der Persünlichkeit flieht, ist cs sinn-
los, sie mit Gründen anzufechten, ebenso sinnlos, wie jemandem mit Gründcn
cine leidcnschaftliche Liebe oder physischen Hunger aus- oder einredcn zu wollen.
Freilich vcrmcidet man hcutzutage gern die Erörtcrung lctzterer Fragen, man
diskutiert nicht über Pcssimismus und Optimismus odcr darübcr, welches die
beste Staatsform sei, oder ob die Kultur das Glück befördcre oder zcrstöre-
Aber doch licgcn die stillschweigend gegebenen Antworten solcher Fragen als
Voraussctznngcn tauscnden von Sätzen zugrunde, über die wir ernstlich debat-
tiercn. Bismarcks Politik war die .einzig richtige", oder „sie war doch im
Grunde gcnommcn verfchlt"' — welch falsche Voraussetzungen schliehcn doch
derglcichen Sütze ein; wie aussichtslos die Hoffnung einer Verständigung!

Abcr die Meinung, als müssc von zwei lleberzeugungcn immcr die cine
richtiger sein als die andere, als könne man dics beweiscn und jcnes
widerlcgcn, ist unzerstörbar. Sie wird gefördert durch die Schwierigkcit, die
objektivcn llrtcile von dcn subjcktiven Werturteilen zu trenncn: durch dic
innige Vcrschmclzung beider in der Sprache, durch den Toppelcharakter
unserer Aussagcn. Rarl Gtto Lrdinanu.

/idusisrgescbicbtc.

2. Die Stelluua des Laien zur lllusikaeschichte.

Es ist sclbstvcrständlich ausgeschlossen, das; mil dicser Folge vvn
Aufsatzcn cine Darstcllung dcr gesamlen Btusikgeschichte anch nur in den
nllgemeinsten Umrisscn beabsichtigl wärc. Das verbietet schon der gcgen-
wärtige Sland der inusikgeschichtlichen Forschung übcrhaupt. Atan darf

2. Iiniiheft lyoo
 
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