Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1900)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Zu viel
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0101

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lu viel.

Wer wissen will, was im Volke beliebt ist, darf sichs nicht schenken:
er muß dann und wann die illustrierten Prcislisten der großen Warcn-
häuser durchsehn. Als ich das einmal that, traf ich auf das Bild cines
Schrankes in einfacher und daneben auf das desselben Schrankes in
„eleganter" Ausführung. Der einfache Schrank war nicht so schlecht:
gutc Vcrhältnisfe, lasiertes Holz, das die Mascrung zeigte, praktische
Einrichtung, die sich schon im Aeußern erkennen ließ. Wodurch nun ward
sein Gerüst zu dem zweiten umgewandelt, wodurch „elegant" gemacht?
Jch bin versucht, zu sagen: durch Leim. Man nahm erstens Fournier-
holz, zweitens ein Hausen von Zieraten her und klebte das auf. Mög-
lich, daß jede Einzelheit in sich nicht übel, viclleicht sogar wirklich hübsch
war, dcr Schrank als Ganzes war durch diese Operation aufgelöst in
Klcinlichkcitcn, scine natürlichen Rcizc waren erstickt worden im Zuviel.

Der Schrank kommt mir ost in den Sinn, er ist mir zu einer Art
von Symbol geworden. Unsere ganze Kunstkultur leidet ja unter dem
Zuvicl.

Jch brauchc die Klagen über die Ucberflutung mit Konzerten nicht
zu wiederholen. Jch brauche nur zu erinnern an die Ueberschwemmung
des Büchermarkts, die alljährlich tausende von guten Keimen im dünnen
Wasser ertränkt. Der Theaterbesuch, einst ein Festgenuß, ist zum All-
tagszeitvertrcib gewordcn, bei dem hundertfache Aufführungs-Wieder-
holungen von Nlltagsware das dichterisch Gediegene fernhalten und die
Schauspielkunst mechanisieren. Die großen Kunstausstellungen zeigen oft
derartige Bildermengen, daß selbst der Geübte nur bei beträchtlichen
Opsern an Kraft und Zeit einen Ueberblick über das wirklich Beachtens-
werte gewinnen kann.

Jst es nicht an der Zeit, einmal mit allem Ernste darauf hin-
zuweiscn, daß wir auf solchcm Wege nicht weiter kommen? Vorläufig
dchnt sich ja diese Massenverfüttcrung mit jedem Jahr noch auf immer
neue Gebietc aus. Nach mehr, immer mehr „Lesestosf" ruft die Parole

Knnstwart Maiheft ;soo
 
Annotationen