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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 13 (1. Aprilheft 1900)
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Batka, Richard: Musik und tägliches Leben
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Bartels, Adolf: Tolstojs "Auferstehung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0017

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und die notwcndigen praktischen Folgerungen aus dieser Einsicht ziehen,
wird an eine herzersreuliche neue Blüte ihrer Kunst, so meine ich, schwer-
lich zu denken scin. Die engere Fühlung der Musik mit dem Leben wird
vielleicht dessen uns hcute noch unmusikalisch dünkenden modernen Ele-
mente mit Ton durchsetzen oder mit einer klingenden Sphüre umweben.
Eichendorff sagt: „Es schläst ein Lied in jedem Ding", wohl, so gelingts
einem Genie der Zukunst am Ende auch, die hier innewohnenden Klänge
zu erlauschen und künstlerisch zu gestalten. Richard Batka.

Tolsross „Tlukersteknng".

Tolstojs „Auferstehung", schon in einem Dutzcnd Uebersetzungen er-
schienen, ist ein Buch, das eigentlich jeder Deutsche lesen muß. Mehr:
jeder Deutsche sollte sich mit dem Werke des großen Russen innerlich aus-
einandersetzen. Das kann, da wir es in ihm mit eincm Standardwerk,
einem „Weltanschauungs-Quintessenz-", eincm „Letzte-Konseguenz"-Werk
zu thun haben, für die Einzelentwicklung, wie für die des deutschen
Volkes nur fruchtbar sein.

Aesthetisch ist die „Auferstehung" bei weitem nicht so hoch zu stellen,
wie die früheren großen Romane des Autors „Krieg und Frieden" und
„Anna Karenina", obwohl sie derselben künstlerischen Familie angehört.
Es ist ein psychologischer Entwicklungsroman, in dem die Entwicklung
nicht rein innerlich, also durch seelische Kämpfe, sondern ganz unter dem
Einfluß äußerer Eindrücke vor sich geht. Man künnte — die Goethe-
Philologen werden freilich ob meines Einfalls den Kopf schütteln —
unseres gröhten Dichters „Wilhelm Meister" zum Vergleiche heranziehen.
Goethes „Wilhelm Meister" stellt nach Hebbels klassischer Definition dar,
„wie das Nichts, von allem menschlichen Beiwesen unterstützt, Form und
und Gehalt gewinnt"; Tolstojs Auferstehung zeigt, wie das moralische
Nichts, von allem menschlichen Beiwesen abgeschreckt, ein sittlicher Mensch
wird. Dort also ästhetisch-intellektuelle, hier moralische Erziehung. Der
Tolstojsche Held Nechljudow ist von vornherein so gut ein Nichts wie Wil-
helm Meister und gewinnt auch kaum eine bestimmte persönliche Phy-
siognomie, nur äußerst anerkennungswerte Gesinnungen; seine Lehrjahrc
aber sind ebenso bunt und eindruckreich, wie die Wilhelm Meisters.
Freilich, der Unterschied des Deutschlands am Ende des achtzehnten und
des Rußlands am Ende des neunzehnten Jahrhunders ist kolossal, und
wenn Wilhelm Meister zu den Hühen hinauf, wird Nechljudow in die
Tiefcn hinabgeführt. Jn der künstlerischen Methode seines Erziehungs-
romanes steht Goethe unbedingt viel höher: Er verfährt nicht rein
rationalistisch wie Tolstoj, der auf den Eindruck von außen die psychische
Wirkung stets unmittelbar eintreten lüßt, sie wohl gar mit nackten
Worten schildert (obwohl er doch, soweit verrät sich der alte Menschen-
kenner und künstlerische Gestalter von eheoem, gewisse Rückfälle bringt),
sondern er vergißt keinen Augenblick, daß das Leben ein sehr ver-
wickeltes Etwas ist, daß tiefere seelische Umbildungen erst nach und nach
hervortreten, daß der Künstler kein Rechner sein darf, der sogleich sein
Resultat zieht. Ehedem, in „Krieg und Frieden", spielte auch bei Tol-

Axrilheft ryoo
 
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