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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1900)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Zu Friedrich Nietzsches Tod
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0443

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13. Zabrg. Lxveites Leptembervett 1900. Dett 24.

Lii M'iedrich Oietzscdes Tod.

Mehr denn ein Jahrzehnt schon war sein Geist nicht mehr bei uns.
Sein Leib ruhte hingestreckt, seine Seele war irgendwo in den Fcrnen.
Zwar jetzt erst wallfahrtete man in seine Nähe, wallfahrtete fast wie
zum Tempel eines Gottes, aber dcr gesprochen hatte, was sie herbeirief,
den barg ein Allerheiligstes, und zeigte er sich doch, so zeigte sich ein
erschntterndes schweigendes Bild. Er sah nicht mehr, er hörte nicht mehr
die Staunenden, Bewundernden, Begeisterten, er trüumte. Die Sterbe-
glocke von Weimar summt trotzdem ihre Klage über uns alle hin.

Jn diesen Blättern, an deren Begründung ja Nietzsche mit freund-
licher Beihülfe auch selber teilnahm, ist viel über ihn gesprochen worden.
Wo geschah das nicht, wo Geistiges rang und stritt? Mit keines Zeit-
genossen Gcdanken hat sich das feinste Leben des Jahrhundertendes
mehr auseinanderzusetzen gehabt als mit den seinen. Seine Bücher
wurden zur Macht, sein Name ward zum Schlagwort. Und noch Ge-
schlechter werden darüber streiten, ob er uns zum Segen gelebt hat oder
zum Fluche.

Was wird von Nietzsche bleiben?

Zunächst: ein Künstler. Denn was in ihm den Kunstfreund zu
tiefstem innercn Mitleben und den Denker über Kunst mit leuchtendcn
Eingebungen befruchtete, das war der Empfindende und der Schauende,
der Künstler. Zum Gestalter ward cr in Tönen, vor allem aber in der
Sprache des Worts. Nietzsches Sprachc, die jedes Wort bald in diesem
Schatten, bald in jenem Licht dämmern oder aufglünzen läßt, diesc
Sprache, dic kaum je darauf ausgeht, eine Sache in nüchternen Grenzen
fest zu umschrciben, Nietzsches Sprachc, die nur angeregt ist vom Gegen-
stand, aber gesättigt vom Jch, ist gcwiß cin unzweckmäßiges Werkzeng
zu logischer Wisscnschaft. Wer an aöstrakte Denkarbeit gewöhnt war,
den hat sie auch von je zur Skepsis gemahnt: Gerade die Gefühls- und
Anschauungswerte der Wörter, die der Wahrheitsforscher nach aller
Möglichkeit auszusondern strebt, um seinem Jdeal mathematischer Klarheit
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