näherzukommen, Nietzsche pflegte sie und bildete sie zu einer an und für
sich köstlichen, in der Wissenschaft aber verwirrenden Feinheit aus.
Wohl — aber wer nicht wissenschaftlich, sondern künstlerisch empfand,
den gewann er sich eben dadurch. Es ist ja niemals von Dingen der
Erkenntnis schöner gesprochen worden. Und es wird eine Zeit kommen,
da man einsehen wird, wie falsch es ist, vor seinen Aussprüchen in erster
Reihe zu fragen: sind sie wahr? Eine Zeit, da man sie nehmen wird,
wie ganz allein sie gegeben sind: als Symbole, als Ausdruck eines
Seelenzustandes, dessen der Leser teilhaftig werden soll. Mit andern
Worten: da man endlich, endlich allgemein lernen wird, diese Werke als
Gedanken-Dichtungen zu genietzen. Wer aus der Wirrsal der Er-
scheinungen heraus die Wahrheiten sondern will, wer nichts als lautere
Erkenntnis erstrebt, der darf auch nichts zu sich sprechen lassen, als die
Sache; sein eigenes Jch darf ihr gegenüber während der Arbeit des
Denkens nichts sein als ein Arbeitsinstrument. Es erwächst nun ein-
mal dem Menschenleben ein Stück Tragik auch daraus, datz wir nach einer
Richtung nur weiterkommen können, während wir uns nach der andern
zurückhalten. Nietzsches flammende Seele hat ihre Krüfte nie geteilt:
wo's ein Erkennen galt, gestaltete er zugleich, alles ward ihm dann
Eines und auch das von ihm Gestaltete schien ihm ein drautzen
Erkanntes. Vielleicht, datz ein Nachlassen der phantasievollen Leiden-
schaftlichkeit, die seine Eingebungen so oder so bewegte, mit dem Altern
dem klaren Gedanken die Uebergewalt und damit seiner Jdeenwelt die
Sachlichkeit gegeben hätte. Um seines Lebens Mittag traf ihn der
Blitz, — wissen wir, welche Wege er noch gegangen wäre bis zu einem
ruhigen Sonnenuntergange hin? Er, welcher die Widersprüche in sich
nur als Beweise der Freiheit empfand und immer wieder sich selber
„überwand" und „wandelte" ? Wie ist es kindlich, wenn sie auf seine
„Weltanschauung" schwören, sie, die gefrieren lassen wollen, was ihres
Meisters höchster Stolz immerwährend im Flusse sah!
Ja, Nietzsche war vor allem ein Dichter. Der Mensch, der
sich in seinen Werken mit seinem Jch auslebt, der ist's, den wir
bewundern, wir alle, die über die Philisterkläglichkeit hinaus sind,
nur das zu schätzen, was uns „aus der Seele gesprochen" ist. Wohl,
Nietzsche hat tausend Gedanken als Fürsten und Prinzen der Wahrheit
hinausgesandt, deren Panzer doch nur golden schien, so lange sein
eigener Geist drauf glänzte. Aber wenn sie uns nicht besiegten, so war's
eine Freude, mit ihnen zu kämpfen. Und in einer grotzen Hauptsache
stand unser Fühlen ja stets bei ihm: vornehm war cr in allem. Wirkt
nicht die Vorstellung schon wie eine Lächerlichkeit: Nietzsche hätte irgend-
welchen äutzerlichen Werten jemals den leisesten Einflutz auf scine Worte
erlauben können? Was lag ihm am Aeutzerlichen, am Drautzen, ihm,
der mit dem Engel so heitz um den Segen rang? Nietzsches Schlüsse
vom Uebermenschentum, von Herren- und Sklavenmoral, vom Jenseits,
von Gut und Böse mögen fallen und zerschmelzen, sein Ringen aber
entsprang nichts anderem, als dem Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber
dem Himmelslicht unter der Stirn. Es ist nichts anderes, es ist nur
Tragik darin, datz er das Glück zu finden glaubte, indem er zu spielen,
zu „tanzen" begann. Er war trotzdem ein Edelmensch, wenn einer.
Und in einer Zeit der geistigen Nivelliererei hat er wie keiner dazu
Uunstwart
sich köstlichen, in der Wissenschaft aber verwirrenden Feinheit aus.
Wohl — aber wer nicht wissenschaftlich, sondern künstlerisch empfand,
den gewann er sich eben dadurch. Es ist ja niemals von Dingen der
Erkenntnis schöner gesprochen worden. Und es wird eine Zeit kommen,
da man einsehen wird, wie falsch es ist, vor seinen Aussprüchen in erster
Reihe zu fragen: sind sie wahr? Eine Zeit, da man sie nehmen wird,
wie ganz allein sie gegeben sind: als Symbole, als Ausdruck eines
Seelenzustandes, dessen der Leser teilhaftig werden soll. Mit andern
Worten: da man endlich, endlich allgemein lernen wird, diese Werke als
Gedanken-Dichtungen zu genietzen. Wer aus der Wirrsal der Er-
scheinungen heraus die Wahrheiten sondern will, wer nichts als lautere
Erkenntnis erstrebt, der darf auch nichts zu sich sprechen lassen, als die
Sache; sein eigenes Jch darf ihr gegenüber während der Arbeit des
Denkens nichts sein als ein Arbeitsinstrument. Es erwächst nun ein-
mal dem Menschenleben ein Stück Tragik auch daraus, datz wir nach einer
Richtung nur weiterkommen können, während wir uns nach der andern
zurückhalten. Nietzsches flammende Seele hat ihre Krüfte nie geteilt:
wo's ein Erkennen galt, gestaltete er zugleich, alles ward ihm dann
Eines und auch das von ihm Gestaltete schien ihm ein drautzen
Erkanntes. Vielleicht, datz ein Nachlassen der phantasievollen Leiden-
schaftlichkeit, die seine Eingebungen so oder so bewegte, mit dem Altern
dem klaren Gedanken die Uebergewalt und damit seiner Jdeenwelt die
Sachlichkeit gegeben hätte. Um seines Lebens Mittag traf ihn der
Blitz, — wissen wir, welche Wege er noch gegangen wäre bis zu einem
ruhigen Sonnenuntergange hin? Er, welcher die Widersprüche in sich
nur als Beweise der Freiheit empfand und immer wieder sich selber
„überwand" und „wandelte" ? Wie ist es kindlich, wenn sie auf seine
„Weltanschauung" schwören, sie, die gefrieren lassen wollen, was ihres
Meisters höchster Stolz immerwährend im Flusse sah!
Ja, Nietzsche war vor allem ein Dichter. Der Mensch, der
sich in seinen Werken mit seinem Jch auslebt, der ist's, den wir
bewundern, wir alle, die über die Philisterkläglichkeit hinaus sind,
nur das zu schätzen, was uns „aus der Seele gesprochen" ist. Wohl,
Nietzsche hat tausend Gedanken als Fürsten und Prinzen der Wahrheit
hinausgesandt, deren Panzer doch nur golden schien, so lange sein
eigener Geist drauf glänzte. Aber wenn sie uns nicht besiegten, so war's
eine Freude, mit ihnen zu kämpfen. Und in einer grotzen Hauptsache
stand unser Fühlen ja stets bei ihm: vornehm war cr in allem. Wirkt
nicht die Vorstellung schon wie eine Lächerlichkeit: Nietzsche hätte irgend-
welchen äutzerlichen Werten jemals den leisesten Einflutz auf scine Worte
erlauben können? Was lag ihm am Aeutzerlichen, am Drautzen, ihm,
der mit dem Engel so heitz um den Segen rang? Nietzsches Schlüsse
vom Uebermenschentum, von Herren- und Sklavenmoral, vom Jenseits,
von Gut und Böse mögen fallen und zerschmelzen, sein Ringen aber
entsprang nichts anderem, als dem Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber
dem Himmelslicht unter der Stirn. Es ist nichts anderes, es ist nur
Tragik darin, datz er das Glück zu finden glaubte, indem er zu spielen,
zu „tanzen" begann. Er war trotzdem ein Edelmensch, wenn einer.
Und in einer Zeit der geistigen Nivelliererei hat er wie keiner dazu
Uunstwart