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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

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Heft 19 (1. Juliheft 1900)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0280

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Literatur

Nundscdau

* Literarische Satire ist
etrvas sehr Schönes: es schmeckt nicht
nur gut, es bekornmt auch. Aber sind
die „S t e ck b r i e f e", die „Martin
Möbius" „hinter Zo literarischen Uebel-
thätern geheimgefährlicher Natur" bei
Schuster L Loeffler in Berlin erlassen
hat, literarische Satire? Möbius hält
von den gleichzeitig durch Bruno Paul
zum Teil sehr witzig abkonterfeiten
Herren sehr rvenig, und er äußert diese
seine Geringschätzung in vollkommen
unverhohlener Weise. Aber das
macht ja noch keine Satire. Jch
meinerseits kann mir eine gute
Satire schwer vorstellen, wenn der
Satiriker nicht Meister in ironischer
Darstellung ist. Wer auf den Zeilen
feinfühlig und individuell die sorg-
fältig studierte und scharf erfaßte
Sprechweise der Bewunderer unsrer
Scheingrüßen erst schreiten, dann tanzen
und schließlich sich überkugeln ließe,
während wir zwischen den Zeilen
den Zieher der Fäden sitzcn und lachen
sähen — der, beispielsweis, schriebe
eine literarische Satire. Hier aber fehlt
die literarische Kunstform. Möbius ge-
staltet nicht, er sagt einfach seine Mei-
nung. Die Steckbriefe geben im weserrt-
lichen lebhaft ausgesprochene, schroff
absprechende Urteile. Suchten sie diese
ihreUrteile zu motivieren, so wärcn
sie Kritiken. Aber auf dieses Erfor-
dernis wissenschaftlichen Wertes ver-
zichten sie auch, während sie dem
Erfordernis künstlerischen Wertes, dem
Gestalten, nicht genügen. So sind sie
wirklich nicht viel mehr als Grob-
heiten. Vielleicht, auch als solche
können sie in unsrer Zeit der Klüngel-
und „Begeisterungs" - Rezensiererei
nicht gerade viel schaden, denn wenn
sie einscitig sind, so ist in unsern lite-
rarischen Zuständen ja dafür gcsorgt,
daß die andere Seite auch genügend
beleuchtet wird. Vorn die Bewunderer
mit bengalischen Flammen, hinten die
Kunstwart

Gcgner nrit Scheinwerfern auf die
Kehrfeite — es komrnt immerhin bei
dieser Art von Doppelbeleuchterei nicht
gerade ein klares Bild heraus. A.

* „DieBedeutung desWortes"
von Karl Otto Erdmann, jenes
Buch, dessen Manuskript unser Aufsatz
über „die Nebenwerte der Worte" ent-
stammt, ist nunmehr bei Eduard
Avenarius sAd. Goldbeck) in Leipzig
erschiencn. Erdmann sagt im Vor-
wort: „daß wir alle irn Vanne der
Sprache leben und durch sie geführt
und irre geführt werden; daß Worte
unklar und vieldeutig sind und eine
Quelle zahlloser Mißverständnisse ein-
schließen; daß erbitterte geistige Kämpfe
nicht wie die Beteiligten glauben, auf
sachlichen Meinungsverschiedenheiten
beruhen, sondern meist nur Wort-
streitigkeiten darstellen, oder Kämpfe
um die Benennung sind: diese Er-
scheinungen werden gewiß oft genug
betont und in der Theorie von Jeder-
mann zugegeben. Aber ihre Allgemein-
heit und Tragweite wird meines Er-
achtens in der Regel verkannt. Allent-
halben findet man eine Ueberschätzung
der Worte als Werkzeuge der Erkennt-
nisvermittlung; allenthalben unbillige
Forderungen an die Jnterpretations-
krrnst, insbesondere die der Richter
Wer daraufhin Aeußerungen prüft,
wie sie jüngst aus Anlaß der Lex
Heinze über den Ausdruck »unzüchtig«
zum besten gegeben wurden, der wird
staunen über die von Gegnern rvie An-
hängern des Gesetzes bekundete naive
Unkenntnis vom Wesen der Worte,
über die falschen Voraussetzungen von
der Leistungsfähigkeit unserer Sprache.
Jnsofern sind die Aussührungen über
die Ursachen des Wortstreites zroar
vielfach selbstverständlich, aber doch
gewiß nicht überflüssig und unzeit-
gernäß."

Wir sprechen dem Buche auch für
die Beurteilung von Dichtungen eine

— 2SS
 
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